EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
was du willst.«
Manche Eltern bestehen darauf, dass ihr Kind sich jeden Abend meldet, und sei es nur mit einem per SMS verschickten Smiley, wenn das nächste Etappenziel erreicht und die Unterkunft gefunden ist. Andere akzeptieren, wenn der Nachwuchs auf drei Wochen Funkstille besteht. Annette Geissler musste schon schlucken, als ihr dreizehnjähriger Sohn diesen Wunsch am Abend vor der Abreise äußerte. »Für ihn war es offenbar auch eine Herausforderung, sich jetzt ein bisschen von seinem Elternhaus abzunabeln«, sagt sie. »Und als er wiederkam, war das einfach toll. Er hat so gestrahlt und war so begeistert!« – »Ich muss nicht ständig nachfragen, wie geht’s dir denn«, findet Frans Dikmans, der einen Sohn und eine Tochter in der Mittelstufe hat. »Ich vertraue in das, was sie tun. Und wenn es unterwegs nicht gut geht, melden sie sich schon.«
»Wenn man drei Wochen eine schwere Zeit gehabt hat, die richtig anstrengend war, dann ist das ganze Leben danach einfacher«, fasst Nicolas, der inzwischen in der 11. Klasse ist, die Erfahrung für sich zusammen. Deshalb hatten er und die vier Jungs, mit denen er auf seiner letzten Herausforderung an die Ostsee geradelt ist, vorher auch nur die Route herausgesucht, alles andere, auch die Übernachtungen, organisierten sie spontan. Als zusätzliches Handicap kamen für Nicolas »ein ziemliches Schrottfahrrad und jede Menge Gepäck« dazu – und die meiste Zeit schlechtes Wetter. Trotzdem, oder besser gesagt, deswegen freut er sich schon auf die nächste Herausforderung.
Genau so muss Pädagogik funktionieren: dass man mit Ernsthaftigkeit und Begeisterung und viel Zeit an einer Sache arbeitet und dadurch Intensität entsteht und Vertrauen und Beziehung. Ich bin sehr dankbar, dass ich das erleben durfte.
Oliver Meyer-Krahmer, Musiklehrer
»Ich bin dieses Jahr auf Korsika gewandert, 18 Tage lang«, erzählte Clara auf einer Lehrerfortbildung. »Ich kann mir eigentlich keine Steigerung mehr vorstellen, aber die gibt es bestimmt. Im Jahr davor sind wir nach Rügen geradelt und haben dort auf einem Bauernhof gearbeitet. Da dachte ich auch schon, es gibt keine Steigerung mehr.« Unser Lehrer für Praktisches Lernen, Paul B. Schmidt, hat zum zweiten Mal eine Segel-Herausforderung auf der Ostsee angeboten. In diesem Jahr ist er mit neun Schülern auf einer 13-Meter-Yacht von Greifswald nach Südschweden und über Dänemark und Hiddensee wieder zurück gesegelt, nur der Jüngste in der Gruppe konnte vorher schon segeln. »An einem Tag hatten wir Windstärke 7 bis 8 und ordentlich Wellen«, erzählt er anschließend. »Da haben viele einen Moment der Angst überstanden und waren richtig stolz hinterher.«
Das, was die Jugendlichen in den drei Wochen Herausforderung erleben, wirkt weit über diese Zeit hinaus. Vier Freundinnen haben sich zum Beispiel irgendwo in Brandenburg eine Bleibe gesucht, dort ein Label ausgedacht, eine eigene Kollektion entworfen und genäht und schließlich alle Stücke fotografiert und in drei Tagen und Nächten einen ungewöhnlichen Katalog erstellt, den sie auf unserem anschließenden »Campus Herausforderung« präsentierten. Die Mutter eines der Mädchen trug auf unserem Schulball ein Kleid aus dieser Kollektion, das aussah, als sei es von einem Designer entworfen. »Luca näht weiter und hat sogar schon einen Auftrag entgegengenommen«, erzählte sie sichtlich stolz.
Von großer Wirkung war auch die Musik-Herausforderung, die unser Musiklehrer Oliver Meyer-Krahmer in diesem Jahr angeboten hat. Neun Jungs, die schon ein Instrument spielten, meldeten sich dafür. Die Gruppe zog sich in ein kleines brandenburgisches Dorf zurück und probte jeden Tag acht Stunden. »An manchen Tagen hatte ich einfach keine Lust, Gitarre zu spielen, aber ich hab’s trotzdem gemacht, weil meine Band das brauchte, weil ich das brauchte, weil ich da was lerne«, erzählt David aus der Zehnten. Und Anja Niesler kann kaum glauben, dass ihr Sohn Leon plötzlich gerne und freiwillig Klavier spielt. »In der Band sind coole Typen, die kriegen super Feedback, und die spielen auch richtig gut – das ist intrinsische Motivation pur.« Oliver Meyer-Krahmer hat aus diesen drei Wochen eine »ganz große Zufriedenheit« mitgenommen: »Ich konnte endlich mal dem gerecht werden, was jede Pädagogik immer fordert: Nach drei Wochen, in denen wir jeden Tag acht Stunden zusammen geprobt haben, kenne ich jeden Einzelnen so gut, dass ich jederzeit mit ihm über seine Stärken
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