EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
Bewältigung des Lebens eingebaut werden können. So werden zum Beispiel biologische Phänomene nie als Kapitel oder Bruchstücke in einem abzuarbeitenden Steinbruch von Fakten- oder Teilbereichswissen geboten, sondern immer als Zugang zu weiteren Konzepten, die dabei helfen, kreative, aktive und verantwortungsvolle Mitschöpfer unseres eigenen Lebens, des Gemeinschaftslebens und letztlich des kulturellen Fortschritts der Menschheit zu werden.
Um Bildung derart neu zu konstruieren, war es unvermeidlich, alle Lehrbücher neu zu schreiben, selbst das Mathematikbuch, und in interaktive Lernbücher zu verwandeln: Jeder Schüler schreibt »sein« Lehrbuch aktiv mit. Auch seine wichtigen Lernschritte im Unterricht und seine Reflexionen finden darin Platz, werden dadurch Teil des Buches und geben dem Geschriebenen wie dem Schreiber mehr Bedeutung.
Der Lernprozess in den Lerngemeinschaften ist weniger ein permanenter Wettbewerb um die bessere und schnellere Auffassungsgabe, sondern ein kontinuierliches gemeinsames Arbeiten. An den Potenzialentfaltungsschulen findet competition in seinem ursprünglichen Wortsinne statt: als »gemeinsame Suche nach Lösungen« (unser Missverständnis von competition als Wettbewerb hat mit dessen ursprünglicher Bedeutung tatsächlich nichts zu tun). Die Hilfe für den Mitschüler (»Vorsagen«) ist nicht unter Strafe gestellt, sondern ein Element des Lernens: Ständig werden Klassen beziehungsweise Lerngemeinschaften in kleinere Teams aufgeteilt, die bestimmte Aufgaben gemeinsam erarbeiten und dann ihre Ergebnisse in der größeren Gruppe präsentieren.
Dies fördert gleichzeitig eine hohe Sozialkompetenz und eine hohe individuelle Kompetenz und Leistungsbereitschaft. Auch in den Klassen der Potenzialentfaltungsschulen gibt es herausragende Schüler – sogar mehr als an unseren Schulen –, aber es gibt fast überhaupt keine »schlechten« Schüler, und vor allem liegt das durchschnittliche Leistungsniveau der Klassen weit über dem »normalen« Durchschnitt bei uns. Die Schüler lernen schnell, dass sie als gute Teams viel effektiver lernen und zu Ergebnissen kommen, die sie als »Individuallerner« nicht erreichen würden. Solidarität wird nicht als noble moralische Pflicht erlebt und gelebt, sondern als das fraglos intelligentere Verhalten. Auch in diesem Sinne ist das neue Bildungssystem von FUNDAEC ganzheitlicher und integrativer als der Schulalltag in unseren Schulen. Ermüdende und meist doch zwecklose Appelle an ein besseres Sozialverhalten in der Klasse sind den Potenzialentfaltungsklassen völlig fremd.
Tutoriales System: Schüler werden zu Lehrern, Lehrer zu Lernbegleitern
Die Arbeit mit interaktiven Trainingsbüchern und Schülerteams mit begleitenden Tutoren statt mit Lehrern ist bei FUNDAEC aus einer Not heraus geboren. Es gab einfach nicht genügend Lehrer, die bereit waren, in die entlegenen Dörfer Kolumbiens zu gehen und dort zu leben, zumal weite Landstriche dieses Landes jahrzehntelang unter dem Terrorismus der FARC litten. Da Not erfinderisch macht, entwickelte FUNDAEC deshalb ein grundlegend neues Lehrerausbildungssystem mit einer grundlegend neu justierten Beziehung zwischen Lehrern und Schülern.
Die Arbeit mit interaktiven Trainingsbüchern erlaubte, dass geeignete Menschen aus den Dörfern zunächst nur darin ausgebildet wurden, kleine Schülerteams in der Arbeit mit einem interaktiven Trainingsbuch für einen Jahrgang zu begleiten. Ihre Fragen und Probleme in dieser Tutoren- statt Lehrerfunktion konnten sie in regelmäßigen begleitenden Kursen an dezentralen Standorten der Tutorenausbildungseinrichtung von FUNDAEC (deren »Pädagogischer Hochschule«) jeweils zeitnah und besonders praxis nah einbringen und gemeinsam mit dem dortigen Ausbildungs team und mit anderen Tutoren bearbeiten. Die Tutoren konnten daher, durch den sehr frühzeitigen Praxiseinsatz in den Dörfern, sehr schnell die notwendigen Lernprozesse zur erfolgreichen Lern begleitung durchlaufen.
Die Ausbildung der Lehrer beziehungsweise Tutoren ist ganz auf die unmittelbare Unterrichtspraxis ausgerichtet. Dadurch können sie sofort praktische Erfahrungen sammeln, und zwar sowohl in Bezug auf die eigene Beherrschung der vermittelten Inhalte als auch in Bezug auf Didaktik, Gruppendynamik, Menschenkenntnis und alle anderen Aspekte der zwischenmenschlichen Kommunikation als Transportmittel von Lernprozessen.
Hat die Lernpsychologie nicht längst erwiesen, dass niemand besser lernt als der, der
Weitere Kostenlose Bücher