Effington 06 - Verborgene Verheissung
nächsten Mal besser zu machen. Es war ihr nie gelungen.
Seit dem Tod ihres Vaters hatte Gwen auf jedes unüberwindliche Problem, sei es Armut oder eine ungeeignete Stellung, auf die gleiche Weise reagiert. Die Panik, die dann in ihr aufstieg, konnte nur durch einen einzigen Weg erstickt werden.
Flucht.
Und von Panik wurde sie jetzt ergriffen.
»Also gut.« Sie richtete sich gerade. »Dann ist das also geklärt.«
»Was soll das heißen?« Misstrauen schwang in Charitys Stimme.
»Ihr habt es ja selbst gesagt: ihr mögt mich nicht. Und es ist ziemlich offensichtlich, dass ihr das nicht zu ändern sucht und euch auch nicht im Geringsten darum bemüht, von mir gemocht zu werden. Und bis jetzt, tja, tue ich das auch nicht. Wir sind in einer Sackgasse. Ich kam nur hierher, um mich zu vergewissern, dass man sich gut um euch kümmert.«
Sie musterte sie einen Augenblick und nickte dann. »Ihr seid anständig angezogen und scheint keinen Hunger zu leiden. Daher werde ich mich nun entschuldigen.« Sie wandte sich um und ging auf die Tür zu, allerdings mit einem Anflug von schlechtem Gewissen und einem seltsamen Hauch des Bedauerns.
»Ich hab euch doch gesagt, sie würde nicht besser sein als das alte Gurkengesicht«, tuschelte eine der drei hinter ihrem Rücken. »Sie will uns auch nicht.«
»Niemand will uns«, sagte Hope. Wenigstens glaubte Gwen, dass sie es war. Sie erkannte zwar die Stimmen noch nicht, doch die Resignation darin war allzu vertraut.
Einen Moment lang war Gwen wieder ein junges Mädchen in eben diesem Haus. Ein Mädchen, das dem Geflüster der Dienstboten nicht entrinnen konnte, was für eine Schande es war, dass Seine Lordschaft nur Töchter statt Söhne hatte. Und was für eine Verschwendung, dass all der Besitz Seiner Lordschaft an einen entfernten Verwandten übergehen würde statt an einen leiblichen Sohn. Und war es nicht ein Jammer, dass niemand den Namen Seiner Lordschaft fortführen würde.
Und war es nicht weise von Seiner Lordschaft, das Mädchen aufs Internat zu schicken, damit sie dort das Nötige lernte, um eines Tages eine gute Partie zu machen. Denn, wenn man mal ehrlich war, zu viel mehr waren Töchter ja nicht gut.
Wenn man mal ehrlich war, dann waren Mädchen nicht gerade erwünscht.
Gwen war nicht gerade erwünscht.
Sie will uns auch nicht.
Gwen fühlte einen Knoten im Hals, und ein längst vergessen geglaubter Schmerz meldete sich zurück. Sicher lag es nur daran, wieder in diesem Haus zu sein.
Niemand will uns.
Vielleicht lag es lediglich an Gwens impulsivem Temperament. Oder an einem verschütteten Sinn für Familie, Verantwortung oder gar Zuneigung. Oder vielleicht war der Schmerz in der Stimme des Mädchens ein viel stärkeres Band als Schwestern oder Familie.
Plötzlich drehte Gwen sich auf dem Absatz um und betrachtete die Kinder. Sie hatten genau solche Angst wie sie selbst. Vielleicht noch mehr. Energisch ging sie zum Sofa und setzte sich. Sie versuchte sich zu sammeln. In diesem Moment wusste sie nur, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben nicht allein war. Ein fremdes Schicksal lag in ihren Händen. Auch wenn es das von Kindern war.
Sie holte tief Luft. »Wohnt ihr gerne in Townsend Park?«
»Es ist ein wunderbares Haus mit schönem Anwesen«, antwortete Charity tapfer.
»Aber mögt ihr es?« Gwen wusste nicht genau, warum das so wichtig war, aber das war es.
»Es ist der schönste Ort, an dem wir je gelebt haben.« Patience klang kühl.
Gwen seufzte. »Na gut, wenn ihr hier glücklich seid, dann kann ich kaum ...«
»Nein!« Hope blickte ihre Schwester voller Panik an und trat auf Gwen zu. »Wir sind hier überhaupt nicht glücklich. Wir hassen es. Es ist furchtbar. Wirklich, wirklich furchtbar. Niemand spricht mit uns, nicht mal die Dienstboten. Gurkengesicht sieht uns immer an, als hätte sie gerade einen Frosch verschluckt.«
»Oje«, murmelte Gwen. Sie fragte sich, ob sie vielleicht auch von einigen ihrer Schützlinge Gurkengesicht oder Schlimmeres genannt worden war.
»Ja, und weißt du noch was?« Patience sank neben ihr auf das Sofa. »Sie rümpft immer die Nase. Ständig. Als würde sie was riechen, was wir nicht riechen können. Etwas wirklich Ekliges.«
»Sie mag uns nicht.« In Hopes Stimme klang eine leichte Überraschung mit. »Und sie sagt ...« Hopes Unterlippe zitterte.
»Sie sagt ...« Patience warf einen Blick auf ihre ältere Schwester, dann holte sie tief Luft. Plötzlich sprudelten die Worte aus ihr heraus: »Sie sagt, wir
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