Effington 06 - Verborgene Verheissung
einzuschätzen, ergab erstaunlich viel Sinn. Marcus ärgerte sich, dass er nicht selbst darauf gekommen war. »Ich werde am besten das Thema Töchter meiden. Im Moment ist es ja noch nicht so wichtig, denke ich.«
»Heute Abend hast du jedenfalls schon genug anderes zu tun.« Reggie grinste süffisant.
»Stimmt«, sagte Marcus abwesend. Er war in Gedanken schon wieder bei seiner Frau.
Dass Gwen noch Jungfrau war, hätte wohl jeden Mann etwas verunsichert. Doch das allein konnte für das Flattern in seiner Magengegend nicht verantwortlich sein. Ihm lag noch viel mehr auf dem Herzen. »Sie ist wirklich bemerkenswert, weißt du.«
»Ach ja?«, fragte Reggie nachsichtig. »Abgesehen von ihrem Äußeren?«
»Oh, sicher, sie ist hübsch, aber der Himmel weiß, dass hübsche Mädchen nicht so schwer zu finden sind.«
Reggie schnaubte ungläubig.
»Sie nahm das Schicksal selbst in die Hand, als sie darauf verzichtete, die arme Verwandte zu werden und von den Almosen ihres Cousins zu leben. Zugegeben, es war nicht besonders weise, bei Nacht und Nebel das Land zu verlassen und eine Stelle als Gouvernante anzunehmen. Sie neigt offenbar zu impulsivem Verhalten, wenn sie in die Ecke gedrängt wird.«
»Wie ein Fuchs?«
Marcus fuhr ohne Pause fort. »Doch je mehr Zeit ich mit ihr verbringe, desto bewundernswerter finde ich ihren Charakter.«
»Wirklich?«
»Sie hat nicht nur einen starken Willen, sondern zeigt auch große Entschlossenheit.«
»Sie ist also störrisch und rechthaberisch.«
»Und sie ist wirklich mutig, und dabei gleichzeitig verletzlich. Bisher konnte ich nur Ausschnitte ihres vielfältigen Charakters kennen lernen. Ein verwirrendes, aber betörendes Bild.«
»Betörend?«
»Na ja, vielleicht war das das falsche Wort«, log Marcus. Betörend war genau das richtige Wort. »Vielleicht sollte ich besser interessant sagen.«
»Interessant, dass all diese plötzlich herausragenden Qualitäten vor wenigen Tagen noch Charakterfehler waren.«
»Habe ich das gesagt?« Marcus schüttelte den Kopf. »Bist du sicher?«
Reggie musterte ihn eingehend. »Sehr sicher.«
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Gwens Eigenschaften waren von Stärken wie von Schwächen geprägt und machten sie zu einer abgerundeten Persönlichkeit. Gut, er wusste zwar nie, was gerade in ihr vorging, und sie hatte ihm bisher nur wenige Hinweise gegeben, wer sie wirklich war und was sie fühlte. Noch waren es nur Puzzleteile. Doch auch wenn er nicht in allem zustimmte, bewunderte er ihre Überzeugungskraft.
»Ich müsste schon längst weg sein.« Reggie stand auf. »Ich überstrapaziere deine Gastfreundschaft, dabei habe ich eigentlich Dinge zu erledigen, genau wie du.«
»Ja, natürlich«, murmelte Marcus. Gwen war schon oben, wahrscheinlich in ihrem Zimmer. Dem Zimmer, das an seines grenzte. Wartete sie auf ihn? Dachte sie darüber nach, wie es sein würde, wenn er sie endlich in die Arme nahm? In seinem Bett. War sie nervös? Ängstlich? Ungeduldig?
»Ich muss schon sagen, Marcus, du hast meine letzten Illusionen heute Abend ins Wanken gebracht. Ich hätte nie gedacht, dich einmal in solch einem Zustand zu sehen.«
»Was für einem Zustand?« Marcus sah ihn ärgerlich an. »Wovon redest du?«
»Von dir. Du bist überhaupt nicht mehr du selbst. Du bist abwesend. Unkonzentriert. In Gedanken nicht hier. Du benimmst dich, als befändest du dich in den Klauen einer bislang unbekannten Emotion.« Reggie schüttelte den Kopf und seufzte dramatisch. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du hast dein Herz an ...«, er versuchte vergeblich, ein Grinsen zu verbergen, »diese Unannehmlichkeit verloren.«
»Dann ist es gut für uns beide, dass du es besser weißt«, entgegnete Marcus bestimmt.
»Tue ich das?« Reggie betrachtete ihn nachdenklich. »Ich weiß, dass du immer viel zu vorsichtig warst, wenn es um Herzensangelegenheiten ging. Ich habe mich oft gefragt, ob das einfach in deiner Natur liegt oder ob du bisher immer die Möglichkeit zur Flucht hattest, wenn du mit deinen Gefühlen konfrontiert wurdest. Diesmal kannst du nicht davonlaufen. Du hast jetzt eine Frau.«
Marcus schnaubte. »Das ist doch lächerlich.«
»Vielleicht. Es ist ja nur eine Beobachtung. Mach daraus, was du willst.« Reggie zuckte die Schultern, ging zur Tür und zog sie auf. »Du sagst immer, mein Beispiel habe dich gelehrt, Liebe um jeden Preis zu vermeiden. Wenn das stimmt, so habe ich dir einen schlechten Dienst erwiesen.«
»Reggie
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