Egeland, Tom
Revolte niedergeschrieben. Stell dir ihre Gemütslage vor! Sie waren verzweifelt! Aufgebracht! Sie brauchten neuen Glauben, neue Hoffnung. In Übereinstimmung mit Jesus am Kreuz fühlten sich die Markus-Leser von ihrem Gott verlassen. Verspottet und erniedrigt. «
» Sie erhofften sich also Trost von Markus? «
Peter zieht den Rauch tief in seinen Bauch und atmet ihn beim Sprechen wieder aus: » Markus wollte inspirieren. Er sah sich als jemand, der die Juden mit neuer Hoffnung einen konnte. Viele von ihnen hatten die Übergriffe der Römer am eigenen Leibe gespürt. «
Ein angenehme Brise weht durch den Hain. Sie bringt Düfte mit, die den Geruch des parfümierten Tabaks für einen Moment vertreiben.
» Im Pakt mit dem Zeitgeist zeichnet er ein Bild von Jesus voller Rätselhaftigkeit, Mystik und Göttlichkeit. Bei Marku s i st Jesus nicht der Aufrührer, als den viele ihn bis zur Revolte betrachtet hatten. Jesus hatte eine tiefere Dimension. Eine Eigenschaft, die das geschaffen hat, was die Religionshistoriker als das Messiasgeheimnis bezeichnen. «
» Was bedeutet das? «
» Die Menschen sollen ahnen, aber nicht verstehen, wer er ist. Er hüllt seine Identität in Nebel. Nur Jesus weiß, was Jesus tun muss. Seine Mission auf Erden ist nicht, Wunder zu vollbringen. In der damaligen Zeit konnte das jeder zweite Weise. Aber nur Jesus wusste, dass er der Mensch gewordene Sohn Gottes war, auf die Erde gekommen, um zu leiden und zu sterben. Um die Menschheit zu erlösen. «
» Das sind keine Kleinigkeiten «, sage ich.
Peter hält den Zigarillo zwischen den Fingerkuppen und zieht den Rauch ein, die Augen halb geschlossen. Unten im Institut sehe ich, wie in einem Raum die Lichter aus-und dann in einem anderen wieder angehen. Ich ahne einen Schatten hinter einer Gardine. Peter holt seinen Flachmann heraus und reicht ihn mir. Er hat ihn aufgefüllt. Ich nehme einen Schluck und gebe ihn zurück. Er sieht starr nach vorn, nippt an der Flasche und gibt sie wieder mir.
Er sagt: » Matthäus hatte einen vollkommen anderen Leserkreis als Markus. Matthäus war ein jüdischer Christ. Er hat sein Evangelium fünfzehn Jahre nach Markus geschrieben. Er hatte Markus gelesen und das meiste davon in seinem Evangelium verarbeitet. Matthäus ’ Leser sind gleichzeitig Juden und Christen. Sie sind in die Dörfer im Norden Galiläas geflohen oder in den Süden von Syrien. Und dort haben die Rabbiner große Teile der Macht übernommen. Die Christen sind in der Unterzahl. Es ist wichtig für Matthäus, dass Jesus ein Jude wie alle anderen war. Nicht aus Zufall beginnt sein Evangelium mit Jesu Stammbaum, der bis zu Abraham zurückreicht. Obgleich es ein Paradoxon ist, dass er Josef s A hnenreihe folgt, da Josef ja nicht gerade als Jesu Vater angesehen wird. «
Wir lachen beide leise.
» Matthäus versucht, ein mosesartiges Bild von Jesus zu erschaffen «, erklärt Peter. » Bei ihm spricht Jesus wie Moses von einem Berg aus zu seinem Volk, und er legt fünf solcher Predigten vor, was mit den fünf Büchern Mose korrespondiert. Ich glaube, Matthäus wollte, dass die Leser in Jesus eine Person sahen, die noch wichtiger war als Moses. Die Pharisäer treten bei Matthäus sehr stark in Erscheinung. Das liegt wohl daran, dass es eben die Pharisäer sind, die Matthäus-Leser so in Rage bringen. Ihre Macht hatte nach der Revolte zugenommen. Die Pharisäer und die Christen stritten um die Entwicklung des Judentums. «
Peter macht eine kleine Pause und seufzt leise. Er sieht auf seinen Zigarillo, drückt die Glut zwischen seinen Fingerkuppen heraus und wirft die Kippe weg.
» Es bedurfte einer weiteren jüdischen Revolte, um Juden und Christen endgültig zu trennen «, sagt er. » Sechzig Jahre nach Masada führte ein populärer jüdischer Aufrührer, Bar -K ochba, einen neuen Aufstand gegen die Römer an. Er nannte sich selbst einen Nachkommen von König David und bezeichnete sich als den neuen Messias. Die Juden begannen, sich wieder zu bewegen. War er es, auf den sie gewartet hatten? War ihr Erlöser schließlich doch noch gekommen? Viele scharten sich um den neuen Helden. Aber nicht die Christen. Sie hatten ihren Messias bereits gefunden. Bar-Kochba führte seine Anhänger in einige Höhlen unweit von Masada. Die Römer fanden ihre Verstecke und belagerten sie. Einige der Juden gaben auf. Andere hungerten, bis sie starben. In der Höhle des Schreckens fanden die Archäologen erst kürzlich vierzig Skelette von Frauen, Kindern und
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