Egeland, Tom
gaben uns den Schlüssel zur Jagd. Und das war der eigentliche Grund dafür, dass neun Jahre später die SIS gegründet wurde. Ein direktes Resultat der chiffrierten Informationen. Jetzt hatten wir endlich eine handfeste Spur, der wir folgen konnten. Wir wussten mehr darüber, wo wir nach dem Schrein suchen sollten. Wir erfuhren von dem Oktogon. Aber dennoch sollte es mehr als hundert Jahre dauern, bis wir zum Erfolg kamen. «
Er schließt die Tür mit einem Riesenschlüssel, der den Rost im Schloss knirschen lässt.
» Streng genommen «, sage ich auf dem Weg nach unten, » ist es wohl ein bisschen früh zu behaupten, dass Sie zum Erfolg gekommen sind. «
9
MAMA SCHLEPPTE MICH an Heiligabend immer mit in die Kirche. Mitten in der Donald-Duck-Sendung des Schwedischen Fernsehens kam sie summend in ihren glänzenden Nylonstrümpfen herein und bereitete sich, begleitet von einer Wolke aus Parfüm und Lachen, auf den Kirchgang vor. » Wi r b rauchen die Traditionen «, pflegte sie zu sagen. Sie beherrscht die Klischees. Sie hat nie begriffen, dass die Zeichentrickfilme für mich eine wichtigere Tradition waren als die Kirche. Selbst wenn ich zugeben muss, dass auch bei mir so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkam, wenn es schneite, die Kirchenglocken läuteten und die Grableuchten auf dem Friedhof im Wind flackerten. Aber nicht so sehr wie bei Donald Duck.
Das Gleiche wiederholte sich vor allen Sommerferien. Doch dann unter der Regie der Grundschule. Klassenweise zwangen sie uns in den Gottesdienst. Ich war nie sonderlich fromm, aber unter der mächtigen Altartafel, an der Jesus seine Arme öffnete, faltete ich, hypnotisiert von dem Rauschen der Orgel und der mahnenden Stimme des Pastors, meine Kinderhände. In diesen Stunden erwachte der Gläubige in mir; ein kleines Geschöpf, das dort Trost sucht, wo es welchen finden kann.
Die religiöse Ekstase dauerte etwa fünfzehn Minuten. Dann übernahm der Sommer.
Später suchte ich andere Möglichkeiten, die Sehnsucht dieses Geschöpfes zu befriedigen. Als Erwachsener fand ich den gleichen Trost zwischen den Schenkeln einer Frau. Der Wunsch, von Wärme und Weichheit umgeben zu sein, von jemandem, der sich um mich Gedanken macht und mir Gutes will. In all seiner pathetischen Schlichtheit.
∗ ∗ ∗
I ch liege still im Bett. Es ist dunkel. Mein Gesicht und meine Hände jucken und brennen.
Der Raum ist groß und leer und dunkel.
Ein Gedanke schwirrt durch meinen Kopf wie eine Fliege, die nie zur Ruhe kommt. Der Gedanke lautet: Gibt es nur eine Wahrheit?
Ich will nicht an MacMullins Konspirationstheorien glauben. Das Ganze ist mir zu groß. Zu unwirklich. Kreuzigung , Kreuzzüge, Tempelritter, Schlösser aus dem Mittelalter, Dogmen, mystische Freimaurer, unglaubliche Vermögen, versteckte Schätze, zeitlose Geheimnisse. So etwas hat doch in der Wirklichkeit keinen Platz. Auf jeden Fall nicht in meiner Wirklichkeit. Sollte es ihnen wirklich gelungen sein, etwas über zweitausend Jahre geheim zu halten? Ich kann nicht glauben, dass so etwas möglich ist.
Irgendwo in der Burg fällt kaum hörbar eine Tür ins schwere Schloss.
Schicht für Schicht schabt MacMullin die Lüge und all die falschen Fährten weg und legt den Kern bloß. Aber der eigentliche Kern, ist auch er Blendwerk?
Ich weiß nicht, ob MacMullin lügt. Ich weiß nicht, ob er selber daran glaubt, die Wahrheit zu sagen, oder ob er es wirklich tut.
Das Gleiche habe ich mich immer über den Pastor gefragt. Wenn ich unten auf der harten Holzbank hockte und zur Kanzel emporstarrte, zerbrach ich mir den Kopf darüber, ob er wirklich an all das glaubte, was er sagte. Oder ob der Zweifel auch ihn heimsuchte und ihn mit einer wurmstichigen Hoffnung zurückließ, dass sich alles im Himmel und auf Erden doch so verhielt, wie er es predigte.
10
ICH HABE EINEN MOMENT geschlafen, als sich die Tür öffnet und ich Dianes leichte Schritte hinter dem Sichtschutz höre.
Ich muss wirklich langsam gesund werden. Mein erster Gedanke ist, dass sie auf einen Quickie gekommen ist. Ich stütze mich auf die Ellenbogen, mehr als bereit, die Rolle de s h ilflosen Patienten in den Händen der wollüstigen Schwester zu spielen. In meiner Fantasie bin ich ein begeisterter Anhänger der meisten obskuren Fetische.
Aber ihr Gesicht ist traurig. Schwer lässt sie sich auf den Stuhl fallen, will meinem Blick nicht begegnen. Etwas kämpft in ihr.
» Diane? «
» Wir müssen miteinander reden. «
Ich warte einen Moment darauf, dass
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