Egeland, Tom
sie fortfährt.
» Papa hat mir erzählt, dass … «, beginnt sie und verstummt.
Mit vorsichtigen Bewegungen stehe ich auf und ziehe mich an. Ohne mich anzusehen, nimmt sie meine Hand, zart, als habe sie Angst, mir wehzutun. Dann gehen wir gemeinsam aus dem Zimmer und über die Treppe nach unten in den Garten.
Es ist dunkel. Eine Lampe hat einen Schwarm Insekten angelockt, die sie nicht wieder loslassen will. Ein kühler Lufthauch fährt lindernd über meine Haut, die noch immer kribbelt und juckt. Sie wird mir etwas sagen, denke ich, was ich nicht hören will.
Sie führt mich über einen Kiesweg zu einer Bank an einem Wasserbassin, in dem das Grün längst die Oberhand gewonnen und den Springbrunnen zum Verstummen gebracht hat. Das Wasser riecht faulig.
» Bjørn «, flüstert sie. » Ich muss dir etwas sagen. «
In ihrer Stimme schwingt etwas Fremdes mit.
Ich setze mich auf die Bank. Mit verschränkten Armen steht sie vor mir. Sie sieht aus wie die weiße, schöne Statue » Die einsame Nonne « im Garten des Klosters Værne.
Mit einem Mal verstehe ich. Sie ist schwanger!
» Ich habe darüber nachgedacht «, sagt sie. Ihr Atem ist flach. » Zuerst wollte ich nicht. Aber es ist einfach richtig. Ich muss es sagen, wie es ist. Damit du verstehst. «
Ich schweige noch immer. Ich habe in mir nie einen Vater gesehen. Der Gedanke befremdet mich. Dann müssen wir wohl heiraten, denke ich. Wenn sie mich haben will. Und das will sie doch wohl? Ich stelle mir das glückliche Ehepaar Bjørn und Diane umringt von sabbernden, krabbelnden Kleinkindern vor.
Sie setzt sich und ergreift meine Hand. Hart. Werden wir in Oslo oder in London leben?, denke ich und frage mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich sehe ihren flachen Bauch vor mir. Der nächste Gedanke: Wie kann sie nach so kurzer Zeit wissen, dass sie schwanger ist?
» Manchmal «, sagt sie, » erfährt man Dinge, die man nie wissen wollte. «
» Das weiß man aber erst, wenn es zu spät ist «, sage ich. » Denn erst wenn man es weiß, erkennt man, dass man es lieber nicht wissen würde. «
Ich glaube nicht, dass sie mir richtig zuhört. Aber es klang sicher auch reichlich kryptisch.
» Es geht um meine Mutter «, sagt sie.
Etwas weiter entfernt beginnt ein Frosch in dem stillen Wasser zu quaken. Ich versuche, ihn zu entdecken. Aber er besteht nur aus Lauten.
» Was ist mit ihr? «, frage ich.
Diane schluchzt. Vorsichtig antwortet ihr der Frosch von der anderen Seite des Bassins.
» Es ist schon verrückt, dass ich dich erst kennen lernen musste, um zu erfahren, wer meine Mutter ist «, sagt sie.
» Was habe ich mit deiner Mutter zu tun? «
Sie schließt die Augen.
» Ich dachte, deine Mutter ist tot? «, sage ich.
» Das dachte ich auch. «
» Aber? «
» Sie haben es nie zugelassen, dass ich sie kennen lerne. Sie wollte nichts von mir wissen. «
» Ich verstehe nicht. Wer ist sie? «
» Das kannst du dir vielleicht denken. Du kennst sie. «
Ich versuche, in ihrem Gesicht zu lesen.
Zuerst denke ich: Mama?
Dann: Grethe?
» MacMullin war mit Grethe zusammen! «, platzt es aus mir heraus. » In Oxford! «
Sie schweigt.
Jetzt ist es mein Atem, der stockt und verharrt. » Ist Grethe deine Mutter? «
Der Frosch hat seinen Platz gewechselt. Jetzt kommt das Quaken aus einer anderen Richtung. Oder erhält er eine Antwort aus einer entfernteren Ecke des Tümpels?
» Es ist nicht nur das «, sagt sie. » Ich bin Papas einzige Tochter. Sein einziges Kind. «
» Na und? «
Sie schüttelt den Kopf.
» Das hat doch wohl nichts zu bedeuten. Nicht für uns, meine ich. «
» Das bedeutet alles! Alles! «
» Das musst du mir erklären. «
» Verstehst du denn nicht? Papa ist kein … «
Pause.
» Ist kein was? «, frage ich.
» Wenn er stirbt, muss ich … «
Sie hält inne. » Ich kann nichts dafür, glaub mir. Aber so ist es. «
» Ich verstehe nicht. «
» Es würde einfach niemals funktionieren «, sagt sie.
» Was würde nicht funktionieren? «
» Du und ich. Wir! «
» Unsinn, das ist doch nichts, das wir nicht durchstehen könnten! «
Sie schüttelt den Kopf.
» Ich dachte, du meintest es ernst «, sage ich.
» Weißt du … Als wir uns kennen gelernt haben, warst du so anders, so erfrischend, so vollkommen anders als alle anderen Männer, die ich kannte. Was ich damals fühlte, war … etwas Wirkliches. Etwas, das ich nie zuvor gefühlt habe, nie auf diese Art und Weise. Aber dann kam Papa und hat alles kaputtgemacht.
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