Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
gegenseitig auszutricksen versuchen … Diese Vision, wonach jeder auf seinen eigenen Einfallsreichtum angewiesen ist, zynisch andere Menschen manipuliert bei gleichzeitiger Abwesenheit von auch nur einer Spur sozialer Intelligenz …, ist ziemlich genau das Bild des Agenten im Neoliberalismus. In einem Wort: Jeder Mensch wird auf den Status eines Unternehmers seines eigenen Ichs reduziert.« 59
Je erfolgreicher im Kalten Krieg die Verteidigungsexperten in den Denkfabriken mit ihren Ratschlägen waren, je effizienter »Gegenseitige Abschreckung« und »massive Vergeltung«, zwei der strategischen Leitsätze des Kalten Kriegs, funktionierten, desto mehr konnte sich diese Logik als gutes Rezept für jede Art zwischenmenschlicher Verhandlungen durchsetzen.
Und je schütterer sich die Sowjetunion präsentierte, desto mehr wurde das, was militärisch war, zu einer Sache der Ökonomie.
Die Modelle haben nichts mit den humanistischen Lippenbekenntnissen zu tun, die insbesondere in Europa das Bild des solidarischen, kooperativen Menschen in den Mittelpunkt des staatsbürgerlichen Verständnisses stellten.
Man fuhr besser, wenn man in der modernen Gesellschaft damit rechnete, dass jeder Mitspieler den anderen bewertet und permanent eigene Vorteile maximieren will: »Wenn ich denke, dass er denkt, dass ich denke« – und so weiter. Das Spiel tut also genau das, was Vance Packard einst zu einem drohenden Kennzeichen der modernen Gesellschaft machte: Jeder versucht permanent in den Kopf des Gegenübers einzudringen, um ein Spiel zu gewinnen oder, was dasselbe ist, Geschäfte zu machen. Jeder Militär versucht es, jeder Börsentrader, jeder Facebook-Algorithmus – unsere ganze Welt ist konsequenterweise eine Welt des In-den-Kopf-Eindringens geworden.
Eine Reihe von sonderbaren Vorkommnissen haben Autoren wie Douglas Rushkoff und Philip Mirowski zu dem Hinweis veranlasst, dass ein paar der wichtigsten Vordenker der neuen Rationalität Zeichen hochgradiger mentaler Störungen aufwiesen wie Paranoia und Schizophrenie. Im Fall von Nash so sehr, dass, wie Mirowski schreibt, die bizarre Situation entstand, dass das Nobelpreiskomitee alles tun musste, um zu verhindern, dass Nash öffentlich auftrat. 60 Anhand einer der Wanderanekdoten über John Nash, hier in der Version von Douglas Rushkoff, kann man in der Tat verstehen, worin der Unterschied besteht, ob man Spieltheorie mit Menschen oder mit Rechnern spielt:
»Die RAND -Wissenschaftler testeten eines ihrer wichtigsten Spiele, das ›Gefangenen-Dilemma‹, mit den Sekretärinnen, die bei RAND arbeiteten, indem sie alle möglichen Szenarien kreierten, in denen die Frauen kooperieren oder einander betrügen konnten. In jedem einzelnen Experiment wählten die Sekretärinnen allerdings nicht den egoistischen Weg, den die RAND -Forscher erwartet hatten, sondern die Kooperation. Das konnte John Nash nicht davon abhalten … weiterhin Spielszenarien für die Regierung zu entwickeln, die auf Angst und Egoismus basierten … Nash schob die Schuld für die misslungenen Experimente auf die Sekretärinnen. Sie seien schwache Subjekte, unfähig, der einfachen Grundregel zu folgen, dass ihre Strategien egoistisch zu sein hatten.« 61
Heute ist das Nash-Equilibrium als der Kompromiss, den zwei Spieler finden können, die voneinander das Schlechteste denken und nicht kommunizieren (denn an den Börse kennt man den Mitspieler nicht), in vielen der Algorithmen codiert, die an den Finanzmärkten und anderswo in der schönen neuen Welt Geschäfte machen.
Nash war derjenige, der diese Strategien nicht mehr nur für das Militär, sondern für alle Formen sozialer Interaktion anwendbar machte. Vor allem aber, so behaupteten seine Bewunderer, wurde es nun möglich, das Ergebnis praktisch jeder Strategie, jeder Auktion, jedes Börsengeschäfts vorherzusagen. Einer, der das vehement tat, war der amerikanische Mikroökonom Hal Varian in seiner enthusiastischen Besprechung des Films »A beautiful mind«. 62 Varian ist heute Chefökonom von Google und hat wesentlich die spieltheoretischen Modelle für Google Adwords programmiert, einen mächtigen Auktionsalgorithmus.
Was man heute »Informationsökonomie« nennt, ist eben kein Kind der Gegenwart, sondern eines Weltkonflikts, der die Weltmächte in Gedankenspiele einsperrte. Damals spielten menschliche und künstliche Hirne millionenfach alle erdenklichen Szenarien durch, die den Feind manipulieren, austricksen, verwirren, motivieren, erschrecken,
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