Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
wir Nummer 2 nennen.
»Bei RAND «, schreibt die Journalistin Sylvia Nasar in ihrer Biografie des »beautiful mind« John Nash, »wimmelte es von Männern und Frauen, die der Vorstellung anhingen, eine systematische Denkweise und ihre Quantifizierung seien der Schlüssel zu den komplexesten Problemen. Fakten, am besten losgelöst von Emotionen, Konventionen und vorgefassten Meinungen, regierten alles. Wenn die Reduzierung komplizierter politischer und militärischer Entscheidungen einschließlich der Problematik eines Atomkriegs auf mathematischen Formeln zur Lösung der Probleme beitragen konnte, so musste sich diese Methode auch für Angelegenheiten des Alltags eignen. Und so versuchten die Wissenschaftler von RAND ihren Ehefrauen einzureden, dass die Entscheidung, ob sie eine Waschmaschine kaufen sollten oder nicht, ein ›Optimierungsproblem‹ darstellte.« 58
Diese RAND -Mathematiker entsprachen sowohl in ihrem Sozialverhalten als auch in ihrer Hyper-Rationalität genau den späteren »Quants«, also jenen Mathematikern und Physikern, die in den Investmentbanken die finanztechnischen Killer-Produkte berechneten.
Die Fragen, denen sie nachgingen, lauteten: Wie findet man die beste Strategie gegen einen Mitspieler, der über das gleiche Drohpotenzial verfügt wie man selbst? Wann muss man bei einem Duell schießen? Wie findet man heraus, ob der andere überhaupt noch eine Kugel hat?
Bekannt war, dass bei RAND – in Santa Monica am Pazifik gelegen – viele der Wissenschaftler arbeiteten, die an der Entwicklung der Atombombe, des Radars und der Langstreckenrakete beteiligt gewesen waren. Zwar blieben der Öffentlichkeit viele der strategischen Neben- und Kreuzwege verschlossen (selbst die Veröffentlichungspraxis von RAND folgte offenbar spiel theoretischen Konzepten, d. h. manches wurde nur veröffentlicht, damit der Gegner dachte, dass RAND denkt …), aber wir erinnern uns noch gut an die abendliche »Tagesschau«, die über immer komplexere und letztlich unverständliche diplomatische Abrüstungsinitiativen, Drohungen oder Aufrüstungen berichtete.
»Es machte für beide Seiten Sinn«, schreibt Kaplan, »keine Atombomben mehr zu bauen, aber keine der Seiten konnte das Vertrauen haben, einen Vertrag über den gegenseitigen Rüstungsstopp zu unterschreiben, denn sie musste annehmen, dass die andere Seite betrügen, mehr bauen und gewinnen würde.«
Der vielleicht genialste und paranoideste Kopf in diesem Spiel war der amerikanische Mathematiker John Nash, den die Welt 2001 als Held in dem oscarprämierten Drama »A beautiful Mind« kennenlernte. Er war es, der mit anscheinend unumstößlicher Logik bewies, dass das Spiel des Lebens nur dann rational gespielt werden konnte, wenn jeder Spieler vom absoluten Eigennutz und einem abgrundtiefen Misstrauen gegenüber der anderen Seite getrieben war.
Nash hatte eine Theorie »nicht kooperativer« Spiele entworfen. Spiele also, in denen man mit dem Spielpartner nicht kommunizieren kann, ihm nicht traut, und in denen beide Opponenten in ihrem Kopfe genau die wahrscheinlichsten Pläne des anderen vorwegnehmen.
Die »wahrscheinlichsten« oder, in den Worten der Spieltheoretiker, die »rationalsten« Spielzüge des anderen sind aber immer die eigennützigen.
Es war eine Einfühlung ganz besonderer Art: Man musste sich in den Egoismus des anderen hineinversetzen, um seinen eigenen Egoismus besser ausspielen zu können. In der nüchternen Sprache der Theorie: den jeweils besten strategischen Spielzug unter Berücksichtigung des besten Spielzugs des anderen vollführen und damit eine Art Gleichgewicht herstellen.
Das war das mittlerweile berühmte Nash-Equilibrium, und es ist nichts anderes als die mathematische Weltformel für konse quenten und erfolgreichen Egoismus. Als mathematische Formel ist sie kompliziert. Aber man muss sie nicht lernen. Sie findet sich heute in Börsenalgorithmen von Hedgefonds, in Auktions plattformen, in den mächtigsten Werbealgorithmen der Welt und vermutlich auch in sozialen Netzwerken. Sie ist der große Ego-Automat im Herzen unserer Systeme.
»Jedermann«, fasst der Wissenschaftshistoriker Mirowski die Formel zusammen, die unsere Welt regiert, »wird so zu einem kleinen Agenten, und wir alle versuchen uns gegenseitig über den Tisch zu ziehen – und im Nash-Gleichgewicht legen wir die Regeln fest, wie wir das zu tun gedenken. Es porträtiert jeden von uns so, als wären wir alle irgendwelche algorithmischen Computer, die sich
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