Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
folgt uns wie ein Schatten und nimmt uns die Sonne. Nummer 2 ist die Sonne und sagt: Schau, wie schön ich leuchte. Nummer 2 trifft Entscheidungen für uns, macht Deals, schaut in die Zukunft, lobt uns, beschenkt uns, bestraft uns. Und vor allem: Nummer 2 wettet auf uns und setzt dabei immer öfter unsere Existenz aufs Spiel. Er fängt leider an, ein Monster zu werden.
Er ist ein Hominid, ein menschenähnliches Wesen. Nummer 2 wurde nicht als Monster geboren, sondern als »homo oeconomicus«, eine Hypothese des Menschen zur Simulation des Menschen. Ein ideales, mathematisches Wesen, das gerne mörderische Spiele spielt. Man kann gut mit ihm rechnen, aber ziemlich schwer mit ihm leben.
Man hat ihn »Double«, »Dummy«, den »ökonomischen Agenten«, den »verdoppelten« oder den »gefälschten« Menschen genannt. In diesem Buch nennen wir ihn »Nummer 2«. Weil er irgendwann anfing, für Nummer 1, den echten Menschen, zu denken und zu handeln.
Er ist – in der Version, mit der wir heute zu tun haben – das rein ökonomisch handelnde Modell eines Menschen, der rational, und das heißt konsistent in Übereinstimmung mit seinen Regeln, in Märkten seinen Vorteil sucht. Eine kleine Lustmaschine, der es nur um die Durchsetzung ihrer Konsumwünsche (ihrer »Präferenzen«) geht und die Altruismus, wenn überhaupt, nur interessiert, sofern er indirekt dem eigenen Vorteil dient. Das von den Ökonomen konstruierte Wesen hat glasklare und berechenbare Präferenzen – Misstrauen und Selbstsucht –, es wird getrieben vom Willen zum Profit, und seine »Wahrheit« beginnt und endet im Preis. Nummer 2 hat eine unbändige Sucht nach Informationen, die ihm im Spiel des Lebens einen Vorteil verschaffen können.
Fast jeder Mensch, der nicht gerade einen Atomkrieg führen oder vermeiden wollte, konnte Nummer 2 bis zum Ende des Kalten Kriegs ignorieren. Deshalb haben wir alle jahrzehntelang gedankenlos mit Nummer 2 gelebt, oft gar nicht gemerkt, dass er da ist. Wie auch? Solange seine Formel vordigitale Märkte und altmodische Welten betraf, war sein Handlungsspielraum begrenzt und musste die echten Menschen, insbesondere die im Land Ludwig Erhards, wenig kümmern.
»Spieltheorie« hatten die Ökonomen das Regelwerk von Nummer 2 lebenslustig genannt. Diese Theorie, so bringt es der amerikanische Journalist Fred Kaplan auf den Begriff, »behauptete, dass es unvernünftiges Verhalten sei, über seinen Schatten zu springen, also das zu tun, was für beide Seiten das Beste sei, und darauf zu vertrauen, dass der Gegner dasselbe tut. In diesem Sinn war die Spieltheorie die perfekte intellektuelle Grundlage für den Kalten Krieg«. 54
John von Neumann, ein Universalgenie der Epoche, und sein Kollege Oskar Morgenstern hatten bereits 1944 ihr Werk »Spieltheorie und ökonomisches Verhalten« veröffentlicht (das im Wesentlichen eine Fortführung eines bereits 1928 verfassten Manuskripts war). Doch was eigentlich als ökonomische Theorie gedacht war, fand zunächst kaum Widerhall in der Disziplin. Es war von Neumann, der nebenbei mit der Entwicklung von Atombombe und Computer befasst war, der sofort die Chance erkannte, seine Thesen beim Militär auszuprobieren. 55
Binnen weniger Jahre wurde unter dem Dach der RAND Corporation die Theorie zu einem Universalwerkzeug für alle Arten von Entscheidungs- und Verhandlungsproblemen, in deren Zentrum Nummer 2 stand, ein Wesen, das vernünftig war, weil es in allem immer nur seinen eigenen Nutzen suchte.
War die Spieltheorie das Werkzeug von Nummer 2, so wurde die »Theorie der rationalen Entscheidung«, die ab 1951 sich entwickelnde und eng mit der Spieltheorie verknüpfte rational-choice-theory, seine Lebensphilosophie. Sosehr man auch im Laufe der Zeit Einschränkungen und leise Relativierungen für den Ego-Trip von Nummer 2 formulierte, im Kern blieb es dabei, was einer der RAND -Protagonisten Ende der Fünfzigerjahre formulierte: »Wann immer wir über rationales Verhalten reden, meinen wir grundsätzlich rationales Verhalten, das eigennützigen Zwecken dient.« 56
Die »Spiele« der Spieltheorie waren reine Mathematik, und sie galten seit 1953 als militärische Geheimnisse, die abends von Forschern, die über hohe Unbedenklichkeitsbescheinigungen verfügten, in Panzerschränke eingeschlossen wurden. 57 Faktisch behandelten diese Forscher den Weltkonflikt als ein ökonomisches »Optimierungsproblem«, das nur von einem geradezu krankhaft rationalen Wesen gelöst werden konnte; dem, das
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