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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Dennoch drang, insbesondere in der Anfangsphase, als es um Budgets und Stipendien ging, genug nach außen, um die Strategie geheimnisvoll und hip zu machen.
    Und das ist auch durchaus verständlich: Als Gedankenmodell mit beschränktem Wirkungsgrad hat Nummer 2 durchaus etwas zu bieten. Als Werkzeug kann die Spieltheorie Verteilungsprobleme lösen, sei es, um zwei berühmte Beispiele zu nennen, die von Studentenschlafsälen oder von Nierentransplantationen.
    Doch das Problem ist, dass die Theorie nicht nur Handeln beschreibt, sondern Handeln erzwingt, sie ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ. Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie. Die Rationalität, die sie sich auf die Fahnen schreibt, kommt nicht von selbst. Wenn es nicht anders geht, zwingt sie den Mitspieler zur Vernunft. Die Einsicht, dass es im eigenen Interesse sein kann, auf einen möglichen Profit (oder Sieg) zu verzichten, entsteht bei ihr nicht durch irgendeinen moralischen Code, sondern einzig aus Angst vor Strafe. Denn zu den »Charaktereigenschaften« von Nummer 2, Egoismus und Profitmaximierung, kommt noch eine dritte hinzu: die pure Angst. Sie entspringt einer Logik, die im Kalten Krieg wieder und wieder durchgespielt wurde: Vernünftiges Verhalten des Gegners entsteht nicht durch vernünftige Argumente, sondern durch Drohungen und Angst vor Vernichtung.
    Höchst anschaulich hat Philip Mirowski diese Logik beschrieben: »Verteidigungsexperten wie Thomas Schelling beispielsweise erklärten ihren Auftraggebern, dass es ›vernünftig‹ sei, alles Leben auf der Erde zu riskieren, um … einen vorübergehenden politischen Vorteil über einen Gegner zu erzielen … dass es möglich sei, diesen Gegner verrückt zu machen vor Angst, um ihn dadurch ›rationaler‹ werden zu lassen.« 68
    Natürlich war Spieltheorie nicht alles. Eine Geschichte, die das Entstehen der neuen Rationalität erzählt, müsste auf die behavioristischen Ideen B. F. Skinners eingehen, die heute das Design der Plattformen von Google und Facebook auf der Oberfläche mehr bestimmen als die Spieltheorie: »Tue dies« – »Bekomme diese Belohnung«.
    Viele Jahrzehnte später ist diese Rationalität im Inneren der Zivilgesellschaft angekommen. Jetzt drohen spieltheoretisch versierte Banken damit, dass ihr Untergang, wenn sie nicht »gerettet« werden, zum Untergang des gesamten Finanzsystems wird. Die Botschaft lautet in einer atemberaubenden Umkehrung moralischer Verantwortlichkeitet: Rettet uns, damit ihr euch nutzt.
    Jetzt kann die Frage, ob ein Land wie Griechenland ökonomisch die Euro-Zone verlassen sollte, nicht mehr gestellt werden, ohne dass der Zusammenbruch des gesamten Systems an die Wand gemalt wird. Jetzt empfehlen Investmentbanken und Hedgefonds ihren Kunden, in diesem Spiel mitzuspielen und in die Krise des europäischen Kontinents nach rein spieltheoretischen Regeln zu investieren. 69
    »Die Desintegration des sozialen und ökonomischen Systems«, hatte Philip K. Dick ahnungsvoll geschrieben, »war langsam, aber gründlich erfolgt. Dieser Prozess war so tiefgreifend, dass die Leute den Glauben an die Naturgesetze selbst verloren. Nichts schien mehr fest oder stabil zu sein; das Universum war ein ständiger Wechsel. Niemand wusste, was als nächstes kam. Niemand konnte sich auf etwas verlassen. Statistische Voraussagen wurden ungewöhnlich populär. Das ganze Konzept von Ursache und Wirkung starb völlig aus. Die Leute verloren den Glauben an die Kontrolle ihrer Umgebung. Was blieb, war einfach die Wahrscheinlichkeit, und nur darauf konnte man sich verlassen: gute Chancen in einem Universum des Zufalls.« 70
    Nicht nur Technologien können missbraucht werden, auch Theo rien. Vielleicht hat niemand so deutlich vor dem Missbrauch der eigenen Theorie gewarnt wie Ariel Rubinstein. Beinahe fassungslos berichtet er in seinen Erinnerungen, wie ein nützliches, aber höchst begrenztes und größenteils akademisches Denkmodell im Begriff ist, das Wertesystem der Welt zu verändern. Es habe dazu geführt, den unbezweifelbaren Egoismus des menschlichen Ichs gleichsam wie in einem Treibhaus zu kultivieren und auszubeuten.
    Das Unglück entsteht, wenn man das Modell mit der Wirklichkeit verwechselt. Wie all die Modelle, die Alan Greenspans Weltbild nach Kontakt mit der Wirklichkeit zum Einsturz brachten. Er glaube seit Langem, schreibt Rubinstein, »dass das Studium der Spieltheorie nicht nützlich ist und sogar schädlich, weil sie potentiell Selbstsucht

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