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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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lähmen und zu Handlungen verführen sollten. Heute geht es darum, mit den Modellen das Verhalten egoistischer Mitspieler vorherzusagen.
    Was bei Adwords noch harmlos ist, wird gefährlich bei Börsen- oder Verhaltensvoraussagen, wie sie von Sicherheitsbehörden, sozialen Netzwerken oder Datenkraken nach den glei chen Modellen angewendet werden. Sagen sie irgendetwas über wirkliche Menschen aus? Bestätigen sie den Egoismus als Handlungsmotiv von allem und jedem oder sind sie nicht vielmehr etwas viel Gefährlicheres: eine Art selbsterfüllende Prophezeiung?
    Einer der wichtigsten und nachdenklichsten Spieltheoretiker, der israelische Ökonom Ariel Rubinstein, widersprach und widerspricht bis heute. »Ich habe absolut keine Erklärung dafür, wie Varian auf die Idee kommen kann, dass man mit dem Nash-Gleichgewicht irgendetwas vorhersagen kann«, schrieb er und warnte: Niemals dürfe man Nummer 2 mit der Wirklichkeit verwechseln, niemals glauben, dass die Spieltheorie Handlungsanweisungen für das wirkliche Leben liefern könne. Sie beschreibt nicht die Wirklichkeit, sie ist nur in gewissen Situationen ein Angebot, eine bestimmte Logik zu analysieren, sie ist, so Rubinstein, nicht »nützlich« für den Alltag in irgendeinem pragmatischen Sinn. 63
    Ach, die Widerrede ist menschlich, aber aussichtslos. Nummer 2 ist viel zu effizient. Und man kann ihn »computen«. Er hatte von Anfang an eine nicht zu unterschätzende psychologische Funktion. Er stärkte das Selbstvertrauen. Die Moderne hatte – mit Sigmund Freud & Co. und mit wachsenden moralischen Selbstwidersprüchen des kapitalistischen Systems – das »Ich« aufgelöst. Die Entschlossenheit, mit der nun zum Weltgesetz erhoben wurde, dass rational sei, was einem selbst nutzt, machte Nummer 2 zu einer willkommenen Alternative. Erst für eine Weile beim Militär und dann, ab den Neunzigerjahren, bei seinen Nachfolgern, den »Masters of the universe« der Wall Street.
    Es blieb einem begnadeten Science-Fiction-Autor vorbehalten, den Augenblick zu markieren, wo die kleinen gefährlichen Denkmaschinen die Sphäre des Militärischen verließen und in die Zivilgesellschaft einwanderten.
    Philip K. Dick (1928–1982), dessen in den Fünfzigerjahren erschienener Roman »Solar Lottery« von einem Staat erzählt, der nach den Regeln der Spieltheorie aufgebaut ist, berichtet im Vorwort:
    »Ich begann mich für die Spieltheorie des Mathematikers John von Neumann zu interessieren, zunächst in einer ganz intellektuellen Weise, wie für das Schachspiel, dann mit dem unangenehmer werdenden Bewusstsein, dass sie eine immer größere Rolle im Leben unseres Staates zu übernehmen schien. Und obwohl Spezialisten auf benachbarten Gebieten – der Ma thematik, der Statistik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft – von ihrer Existenz wussten, ist die Spieltheorie bis heute nur wenig bekannt und publiziert … Heute ist die Theorie ein wesentlicher Bestandteil der Strategie der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Während ich an diesem Buch schrieb, wurde von Neumann, der Mitbegründer des Modells, zur Atomenergie kommission berufen.« 64
    Es ging, wie Dick richtig erkannte, bei alldem zwar zunächst um die Ökonomie des Krieges in Zeiten der Bombe; immerhin hatte Nikita Chruschtschow verlauten lassen, seine Fabriken würden Atombomben produzieren »wie Würste«. 65 Es ging aber zugleich von Anfang an um Ökonomie an sich und um die Programmierung des homo oeconomicus.
    Es ist merkwürdig, wie gleichgültig hingenommen wurde, dass diese Formel einer politischen Physik, die mindestens so wichtig war wie die Formel der Bombe, umstandslos vom Militär in den Bereich der Ökonomie wanderte. 66
    Ein Grund war die letztlich unbeweisbare Behauptung, die Spieltheorie habe den Atomkrieg verhindert, und wer dieses mörderische Spiel gewonnen habe, könne jedes Spiel gewinnen.
    Einen anderen Grund nennt Philip Mirowski 2004 in seinem überragenden Standardwerk »Machine Dreams«. Ein beträchtlicher Teil der öffentlich zugänglichen Papiere, die sich mit der Spieltheorie befassten, war manchmal irreführend. Es konnte passieren, dass ein Autor Texte veröffentlichte, in denen das Gegenteil von dem stand, was er in seinen militärischen Geheimpa pieren schrieb. Robert Aumann, Nobelpreisträger für Ökonomie, hat später berichtet, dass vor 1989 nur Bruchstücke der Modelle bekannt wurden und das meiste selbst unter Wissenschaftlern nur durch Flüsterpropaganda weitergegeben wurde. 67

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