Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Kommunikation mit und Beobachtung von Abwesenden.
Als im 18. Jahrhundert die ersten Uhrwerksautomaten auf der Bildfläche erschienen, heftete sich die Fantasie des künstlichen Menschen daran; dann wurde die Dampfmaschine erfunden, und man suchte nach einer Dampfmaschine des Denkens; dann kam die Elektrizität, und man schloss Menschen an Stromquellen an. Nichts davon funktionierte, aber alles war von dem gleichen Wunsch beseelt, einen kalkulier- und kontrollierbaren Doppelgänger des Menschen, und wenn nicht des Menschen, so doch seines Hirns zu schaffen.
In Ermangelung des richtigen Werkzeugs, des Computers, endete vieles davon in Sackgassen oder auch nur in Science-Fiction-Romanen. Aber kein Fehlschlag hat die überschießende Vision zum Verstummen gebracht. Niemals ging es um Steuererklärungen, die von automatischen Programmen geschrieben werden, oder um Reservierungssysteme oder um das Buchen von Urlaubsreisen. Es ging immer um unendlich viel mehr.
Erst hatten die Militärs, dann die Börsenmakler und schließlich alle Welt schon nach kurzem Kontakt mit der digitalen Welt das Gefühl, mit einem lebenden Organismus zu kommunizieren, der so perfekt war, dass man ihm Entscheidungen über Leben und Tod des ganzen Planeten überlassen konnte.
Der Umstand, dass jeder heute von einem elektronischen »Ner vensystem« spricht, das die ganze Welt durchdringt, ist weitaus mehr als eine semantische Hilfskonstruktion. Es ist genau dieses Nervensystem, das seit zweihundert Jahren von Ökonomen er träumt wurde: Die gleiche ökonomische Rationalität durchdringt das gesamte belebte und unbelebte Universum, die gleiche Ökonomie des Denkens, die gleiche Berechenbarkeit von Kauf und Verkauf, von den Neuronen bis zu den Anlageentscheidungen von Pensionsfonds.
Es gibt auch tote Zweige im Familienstammbaum der heutigen Nummer 2. Einer war der Versuch, ihn mithilfe von Elektrizität als roboterhaften Diener seines Herrn oder als Fabrikarbeiter zum Leben zu erwecken. Aber die Sackgasse, in die das späte 18. Jahrhundert eintritt, führt zu einer neuen und hundert Jahre später wieder aufgegriffenen Erkenntnis: Nicht Elektrizität ist die Lebensenergie, sondern der elektrische Austausch von Informationen. Der Fehlschlag beim ersten Lebensversuch von Nummer 2 bestand darin, dass man die elektrischen Kontakte direkt an die Lebewesen anschloss, statt sie dafür zu benutzen, die Lebewesen miteinander zu vernetzen.
Am 6. November 1780 geriet der Arzt Luigi Galvani (1737–1798) mit seinem statisch aufgeladenen Skalpell an einen ampu tierten, mit Metallklammern auf einem Tisch befestigten Frosch schenkel, der daraufhin zu zucken begann. Galvani glaubte, er habe die Lebensgeister entdeckt. Um sicher zu sein, dass der Elektrizitätsfunke wirklich Leben entzünden konnte, befestigte er Metallstäbe auf dem Dach seines Hauses, die durch Kabel direkt mit den präparierten Nerven von Fröschen und anderen Tieren in seinem Laboratorium verbunden waren. Als Sturmwolken über sein Haus zogen und der Blitz einschlug, begannen die Tiere zu konvulsieren. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich daraufhin in ganz Europa die Nachricht, Elektrizität sei in der Lage, Tote zum Leben zu erwecken.
Kurze Zeit später experimentierte sein Neffe, der Physikprofessor Giovanni Aldini (1762–1834), in London mit der Leiche eines erhängten Doppelmörders. Der Körper des Toten zuckte enorm, ein Auge öffnete sich, die Gesichtszüge verzerrten sich, aber der Mann wurde nicht wieder lebendig. Stattdessen starb vor Schreck angeblich einer der anwesenden Ärzte.
In Paris begannen die Jakobiner damit, die Köpfe Hingerichteter zu verdrahten, und beobachteten, wie die Gesichter ihrer toten Opfer schreckliche Grimassen schnitten. Zwar hatte Alessandro Volta (1745–1827), der große Gegenspieler Galvanis, das Froschschenkelexperiment wiederholt und festgestellt, dass das statisch geladene Messer keineswegs das Tor vom Tod zum Leben geöffnet, sondern lediglich einen trivialen Stromkreis geschlossen hatte. Aber weil er damit auch die Erklärung verband, dass jede Körperzelle elektrisch geladen sei, beherrschte die Verbindung von Elektrizität und Leben die Fantasie nur noch mehr.
Überall in Europa wurden jetzt Lebewesen zergliedert und unter Strom gesetzt: Kuhköpfe, Hühnerbeine, Würmer. Je nach Betrachter war das eine spiritistische, eine wissenschaftliche oder eine ökonomische Operation, oft alles zusammen. Nichts davon konnte isoliert betrachtet werden: Der
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