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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Körper von Tier und Mensch war nichts anderes als ein Wirtschaftskreislauf, eine animal economy, und stellte das Vorbild dar für die reale Wirtschaft. Physikalische Gesetze, die sich in ihm finden ließen, konnten sogleich auf Wirtschaft und Gesellschaft übertragen werden. Innerhalb weniger Jahre war eine höchst folgenreiche Verbindung entstanden: Elektrizität war zum Sinnbild von Lebensenergie geworden und zum Sinnbild von ökonomischem Reichtum.
    Nur leider: Künstliches Leben ließ sich so nicht erschaffen. Man behalf sich damit, die neu gefundenen Gesetze von Energie und Elektrizität auf die Gesetze der Ökonomie und der menschlichen Gesellschaft zu übertragen. Aber der größte Traum blieb unerfüllt: Ein Wesen, das diese Gesetze berechenbar ausführte, weil es gar nicht anders konnte, und damit der sich industrialisierenden Gesellschaft enorme Effizienzgewinne hätte bringen können, existierte nicht.
    Doch dann hatte ein glühender Verehrer Galvanis einen Geistesblitz. Warum Elektrizität an Nerven anschließen, wenn sie selbst ein Nervensystem verkörpern konnte? Warum einen ganzen Körper zum Leben erwecken, wenn man doch nur den Geist haben wollte? Schon jetzt kam jemand auf die Idee, wie man so etwas hinkriegen könnte. Einhundertfünfzig Jahre zu früh, aber doch schon mit der Kernbotschaft von heute: Nicht die Elektrizität ist Lebensenergie, sondern Leben ist nichts anderes als der Austausch von Informationen.
    Während also in Paris die Guillotine genug Material für schau derhafte Experimente mit Elektrizität und menschlichen Köpfen lieferte, dachte um 1800 in Spanien der Arzt und Erfinder Don Francisco Salvá (1751–1828) darüber nach, wie man lebende Köpfe ohne Körper miteinander kommunizieren lassen könnte.
    Salvás Ziel war nicht, tote Körper, sondern körperlose Geister zum Leben zu erwecken. »Man munkelte«, schreibt George Dyson, »er habe eine aus einem einzigen Draht bestehende Telegraphenlinie zwischen Aranjuez und dem 42 Kilometer entfernten Madrid gebaut. Salvá experimentierte sowohl mit elektro statischen Signalen als auch mit der direkten Übertragung schwacher Stromstöße, die sich über eine Entfernung von immerhin 310 Metern im Zucken von Froschbeinen bemerkbar machten … 1804 zeigte er … dass man die Frösche als Sender und Empfänger elektrischer Signale durch elektromechanische Zellen ersetzen könne.« 107
    Mit dieser Apparatur hatte Salvá, wie er in seinem Bericht an die Akademie der Wissenschaften in Barcelona ausführte, einen der ersten Telegrafen erfunden, ein Verfahren, das eines Tages, auch das sagte Salvá voraus, »drahtlos« vonstatten gehen könne.
    In Paris hatte jemand großes Interesse an solchen Erfindungen, jedenfalls größeres als an der Frage, wo die Seele wohnt. Napoleon, so berichtet Salvá der Akademie, zwei hoch vertrauliche Quellen zitierend, ärgere sich über die Unzuverlässigkeit rein optischer Nachrichtenübermittlung. Und er erkannte nicht nur die militärischen, sondern auch die ökonomischen Vorteile, die die neue Technologie bringen würde.
    Das sind bis zu den Computermonstern des Kalten Krieges immer die Patentanten, die an der Wiege einer Technologie stehen, die Denken und Kommunizieren verbessern will: Militär und Ökonomie.
    Die Nervenzellen der Frösche, die Ausbeutung der »animal economy« sind die ersten Funken jener immer mächtiger werden den Metapher, die elektrische Kommunikation mit dem »Nervensystem« vergleicht. Selbst die Erfindung der Batterie durch Volta beendete die Körperzergliederung nicht. Die Forscher hatten jetzt zwar Elektrizität, fanden aber lange Zeit keine Empfänger, die ähnlich sensibel auf die elektrischen Signale reagierten wie lebendige Körper. 108 Man verdrahtete die menschliche Zunge, und als sich das als zu unpraktisch erwies, benutzte der »elektro-physiologische Telegraf« des frühen 19. Jahrhunderts die Fingerkuppen beider Hände als Empfangsstation. Alexander von Humboldt verdrahtete seine Zunge und sein Rektum und berichtet in einem Brief von einem »weißen Licht, das er sah«. Bei den Zeichnungen, die der Kunstprofessor Samuel Morse von seiner Erfindung anfertigte, sieht man nur noch eine einzelne Hand, die die »Kupferzunge« des Apparats bedient. Um 1870 berichten die ersten Telegrafisten, dass sie das Gefühl hatten, mit ihren »Netzwerken zu verschmelzen … durch die Übertragung von Signalen von ihren Hirnen über die Finger auf ihre Tastaturen und schließlich auf den

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