Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Draht«. 109
Je verschmolzener, desto schneller, ätherischer, fehlerloser die Kommunikation. Auch dieses Ensemble zerlegt sich immer mehr. Am Ende braucht man auch die Zunge nicht mehr und auch nicht die ganze Hand – es ist ein emporgestreckter Daumen bei Facebook übrig geblieben.
Zu Galvanis zweihundertstem Geburtstag im Jahre 1937, im Zeitalter von Telegraf und Telefon, war allen klar, was damals wirklich ans Licht der Welt gekommen war: »Das Gleiche, was in Galvanis Händen einen Muskel bewegen konnte, brachte Marconis Stimme über die Ozeane.« 110
Das klingt effizient und logisch, so wie sich Wissenschaftsgeschichte einer rationalen Spezies ihren eigenen Fortschritt erzählt: vom Froschbein zur E-Mail. Doch im Hintergrundrauschen der Geschichte, von Salvás Terrasse über das SOS -Signal der »Titanic«, der Börsenkurse, des Funkverkehrs von Apollo 11 bis zum chatter unserer Facebook-Freunde wird seit 250 Jahren immer noch eine andere Botschaft gesendet, und die bringt, wie es in einem Telegramm in Bram Stokers »Dracula« heißt, »Neuigkeiten, die Eure Ohren klingen lassen werden«.
Denn kaum beginnen sich metallische Nervenstränge durch die Welt zu ziehen, fällt die Welt schon in Trance. Der Mesmerismus will durch Trance Gedanken übertragen, und der ameri kanische Kongress ist unentschlossen, ob er Geld in Herrn Morse oder in die Gedankenübertragung stecken soll.
Die Antwort: Man muss beides miteinander verschmelzen. Schon 1842 prägt James Braid den Begriff »Hypnotismus«, und 1882 – der Telegraf hatte sich durchgesetzt – erfindet F. W. H. M yers den Begriff »Telepathie«. Gedankenlesen und Kommunikation mit Abwesenden werden zum Forschungsprojekt ernsthafter Wissenschaftler, die versuchen, mit den Toten Kontakt aufzunehmen.
Die Anglistin und Wissenschaftshistorikerin Laura Otis hat mit einer Fülle von Belegen von Samuel Morse bis zu den Phonographen, auf die Bram Stoker die Geschichte seines »Dracula« aufzeichnen lässt, das Drama dieser Trance erzählt. Menschen versuchten mit den modernen Kommunikationsmitteln nicht nur, miteinander zu reden, sondern Kontakt mit einem zweiten, immateriellen Lebewesen aufzunehmen.
Von allen diesen Entwicklungsstufen stecken Reste der DNA im Erbgut von Nummer 2. Er ist technisch, aber auch spiritistisch, er rechnet wie eine Maschine und sieht Dinge voraus wie ein Medium.
Der Ökonom Friedrich Hayek verglich Anfang der Fünfzigerjahre – noch ohne von den Forschungen der Kybernetiker zu wissen – in einer noch heute faszinierenden Studie den Markt mit einem Kommunikationssystem, das dem Nervensystem des Menschen entsprach und in dem Neuronen wie Käufer oder Verkäufer auftreten, um das zu tun, »was dem System nutzt«.
Am Ende des 20. Jahrhunderts war dieses System perfekt: Von den Genen über die Neuronen bis zu den automatisierten Finanzmärkten operierte alles nach den Modellen der neoklassischen und neoliberalen Ökonomie. Und die Spieltheorie hatte es vermocht, selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen nach diesem Bilde zu formen.
Der erste Versuch der Erweckung toter Lebewesen ging schief. Der zweite, die Erweckung toter Modelle, beginnend in den Fünfzigerjahren, wurde ein Siegeszug ohnegleichen. Doch man hätte gewarnt sein müssen: Wo alles geplant ist, wachsen manchmal aus kleinsten Anlässen Monster heran.
11 Android
Kaum werden die ersten Automaten
zusammengesetzt, wird der Mensch zerlegt
B ei seinem ersten Auftreten war Nummer 2 buchstäblich eine Maschine, die aussah wie ein Mensch. Sie rechnete da allerdings nicht, sondern spielte Flöte oder Klavier.
Man schreibt das Jahr 1738, und durch ganz Europa ziehen in großen Prozessionen künstliche Lebewesen: Die Automaten wandeln von Kirchen zu Palästen und von Palästen auf Jahrmärkte, Tausende Menschen folgen ihren Spuren. Kaiserinnen und Könige bestaunen sie, Dichter und Handwerker bejubeln sie, Beamte und Soldaten kapitulieren vor ihrer Vollkommenheit. Sie sind das Wunder der Epoche.
Das Erscheinen der künstlichen Spezies war zweihundertfünfzig Jahre vor den Warteschlangen, die beim Verkauf eines neuen iPhones entstehen, vielleicht der erste Fall, bei dem die hinreißende Freude über eine magische Technologie nicht mehr von der Frage zu trennen war, wer sich beides – Freude und Technologie – zu eigenen Zwecken zunutze machen würde.
»Man kann förmlich sehen«, schrieb ein begeisterter Zeitgenosse über einen sehr beliebten Automaten, eine Ente, »wie sie ihr
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