Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
dass das nur funktioniert, wenn er die Welt als mathematischen Zustand sieht, bei dem alles seine Funktion hat.
Die viktorianische Fabrik mit ihrer Körperdisziplin, ihren Stechuhren und Kraftberechnungen hat dies weitgehend für menschliche Arbeit bewerkstelligt. Für das Denken und dessen Kontrolle funktionierte das zunächst nur auf der Ebene der Literatur. Auch ein Roman ist eine Fabrik, in der alles an seinem Ort, in seiner Zeit und unter dem Regime seines Autors lebt.
Doch genau das war die Sackgasse: für Menschen zu schreiben. Man musste stattdessen für Maschinen schreiben, mit denen die Menschen verschmelzen würden.
Schon bald, ab den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts, würden die Texte, die die Menschen organisierten, beschrieben, überwachten und zu Handlungen bewegten, in Maschinensprache geschrieben sein.
Hugh Kenner schreibt über das Erbe des Charles Babbage: »Der Computer simuliert den Gedanken, wenn der Gedanke computergerecht definiert wurde; der Automat simuliert einen Menschen, wenn der Mensch automatengerecht simuliert wurde.« 135
13 Gene
Der Egoismus erobert das Erbgut
D ie Maschine im Zeitalter Vaucansons hatte ausgesehen wie ein Mensch. Im 20. Jahrhundert musste der Mensch zur Maschine werden.
Vielleicht wäre die Machtergreifung von Nummer 2 weniger allumfassend gewesen, wenn sie sich nur auf ökonomische Modelle beschränkt hätte. Doch das Lebewesen Mensch zu einer Fabrik für Egoismus zu machen – das übernahm die Biologie. Deren Experten entdeckten in den späten Siebzigerjahren, dass die Spieltheorie sich bestens eignete, um das darwinistische Modell des Überlebenskampfes, das heißt den Kampf um Vorteile, Profitmaximierung und Fortpflanzungschancen, zu erklären.
Der britische Biologe Richard Dawkins hatte 1976 erstmals seine These formuliert, wonach Lebewesen nur die Überlebensmaschinen zum Zwecke des Fortbestehens egoistischer Gene sind. Dawkins und seine Hilfstruppen, überzeugt, dass sie eine Universaltheorie für menschliche Gesellschaften gefunden hatten, mussten sich zunächst mit der Rolle des Zulieferbetriebs für neoliberale Ökonomen, vor allem in den USA, abfinden, denn neoliberale Meisterdenker in Europa schreckten davor zurück, das Geschäftsmodell von Egoisten mit den Investment- und De investmentstrategien von Genen zu begründen.
Wir wenden uns Dawkins hier nur als dem prominentesten Protagonisten zu. Als Dawkins sein Buch schrieb, gab es bereits eine Übereinkunft, dass, vereinfacht gesprochen, die Selbstor ganisation von Märkten der Selbstorganisation von Lebewe sen entspricht. Kybernetik, Ökonomie und die Biologie hatten unabhängig voneinander in den Fünfzigerjahren den Begriff »Energie« durch »Information« ersetzt und damit die Voraussetzungen für die neue Universaltheorie geschaffen, in der »Informationen«, von der DNA über den Computer bis zu Finanzmärkten, das alles beherrschende Prinzip wurden. 136 Friedrich Hayek, der bereits 1935 die Rolle der Information für Märkte entdeckte und sie später auf die Kognition übertrug, spielte dabei, wie stets, eine brillante Rolle. 137 Doch es war Dawkins, der all dies in nie da gewesener Weise popularisierte.
Bei jeder Schicksalslehre, sei es, dass Gene oder der liebe Gott das eigene Schicksal vorherbestimmen, ist in der Regel Verlass auf die Abwehrinstinkte der Gesellschaft. Es half in den Augen der breiten Öffentlichkeit auch nicht viel, dass Soziobiologen sich zusammen mit Spieltheoretikern bemühten nachzuweisen, dass dieser Egoismus erstaunliche soziale Effekte hatte, wenn man anerkannte, dass Lebewesen anderen egoistisch helfen, wenn sie darin einen Vorteil für sich selbst erkennen. Die These funktionierte immer. »Schenken, um sich selbst eine Freude zu machen«, und wie die Reklamesprüche einer grotesk reduzierten Psychologie sonst noch lauten mochten.
Damals ereignete sich nichts Geringeres als die biologistische Grundsteinlegung einer neuen Moral. Das egoistische Gen von Nummer 2 hatte es in die Biologie geschafft. In den USA zählte beispielsweise Jeffrey Skilling, der Chef des Betrugs-Konzerns »Enron«, zu den großen Bewunderern von Dawkins. Er nannte es »sein Lieblingsbuch und seine Hauptinspirationsquelle«. 138 Er hatte bei Enron das »rank and yank«-System eingeführt: Alle sechs Monate wurden sämtliche Mitarbeiter bewertet, die oberen fünf Prozent erhielten hohe Boni, die unteren 15 Prozent wurden gefeuert oder versetzt. Skilling erklärte, dies sei seine
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