Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
»Lehre aus der Natur«. 139
Die Immunität Europas gegen den egoistischen Cocktail galt freilich nur, solange solche Ideologien auf dem Papier standen und sich nicht in einer neuen und funktionierenden Technologie verkörperten. Denn wenn eine Maschine nur überzeugend genug ist, sind die Menschen bereit, wie wir bei Vaucansons Automaten gesehen haben, sie zur Metapher ihres Lebens zu machen.
Auf diese Art wird die Maschine die Falle, der Käfig, der Auto mat, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und deshalb war damals in den Siebziger-, Achtzigerjahren die Entwarnung, dass man zumindest in Europa keine Gesellschaft des biologistischen Egoismus befürchten musste, leider verfrüht.
Erst wenn man ihn in der Rückschau liest, erkennt man, dass Dawkins’ einflussreicher Bestseller »Das egoistische Gen« (1976) nichts Geringeres als die biologische Grundlegung roboter- und algorithmusgesteuerter Finanzmärkte und Gesellschaften ist.
Dawkins beschreibt die Evolution als gigantischen »biologi schen Computer«, in der »Gene das Verhalten ihrer Überlebens maschinen nicht an Fäden, wie ein Marionettenspieler, sondern indirekt wie ein Software-Programmierer kontrollieren«. 140 Und in dem Profit und Verlust, Eigensinn und Kooperation der selbstsüchtigen Gene sich in einer – es ist sein liebstes Beispiel – »Vampir-Ökonomie« nach spieltheoretischen Modellen berechneten.
Geschrieben ungefähr zehn Jahre bevor der Computer zum Allerweltswerkzeug wurde, klang das zunächst wie ein anregendes Gedankenexperiment, das man ablehnen oder bejahen konnte. Es schien Lichtjahre davon entfernt, die Gesellschaft in der Weise umzubauen, wie es einst die Theorien über »Gleichgewicht«, »Kraft« oder »Selbstregulation« taten, die sich in der Dampfmaschine verkörperten und das industrielle Zeitalter hervorbrachten.
Doch dann, eines Tages, stand der PC auf jedem Schreibtisch. Und eines weiteren Tages hatte sich der PC über Nacht mit allen anderen PC s auf der Welt vernetzt und übernahm spieltheoreti sche Modelle allein schon, um automatisch Bandbreite, Speicher- Allokation und Datenübertragung mit anderen Computern zu verhandeln. Und eines dritten Tages arbeiteten Finanzalgorithmen wie egoistische Gene. Und jetzt wurden die Spielregeln der verstaubten Menschenwelt geändert.
Auftritt der Alchemisten: die neoliberalen Ökonomen, Ken Binmore an der Spitze. Sie übernahmen die Metaphern des selbstsüchtigen biologischen Computers aus der Soziobiologie, wie sie im 19. Jahrhundert ihre Metaphern von der Physik geliehen hatten. Der große Illusionistentrick bestand darin, gar nicht mehr von Biologie zu reden, sondern Gene wie klitzekleine ökonomische Agenten zu behandeln (erweitert um eine soziale Entsprechung »Meme« – Ideen, Konzepte, Weltbilder –, die sich angeblich nicht anders verhielten als Softwareprogramme). In einer Welt, in der es insgesamt nur vier Computer gab, war das gleichgültig; in einer Welt, in der jeder Mensch mit ihm kommunizierte, war es eine Revolution – vergleichbar nur mit, nein: nicht mit Gutenberg, sondern mit der Geburt der großen Ideologien des 20. Jahrhunderts.
14 Verwandtschaft
Selbst die Natur rechnet wie ein Börsentrader
W ir wissen, dass der amerikanische Biotech-Unternehmer Cra ig Venter im Jahre 2010 erste synthetische Lebewesen über den Computer erschaffen hat. Die Gene, so Venter in einem legendären Vortrag vor der versammelten Silicon-Valley-Elite, sind die Software, die die Hardware, den Körper, bauen.
Venter repräsentiert den Typus des Wissenschaftlers, der in seinem Labor potenziell Monster schafft. Ein Lebewesen ist ein Lebewesen, weil es Software ist. Es lässt sich programmieren, wenn auch, zugegeben, erst auf dem Stadium des Bakteriums. Doch die ganz neue Medizin, die derzeit entsteht, verwandelt sich gerade zu einer Informationswissenschaft, die auf dieser algorithmischen Idee basiert. Die Stammzellmedizin zum Beispiel schafft am Computer Avatare, aus ihnen wiederum werden effizientere, langlebigere, profitablere Ersatzorgane geschaffen, die für uns arbeiten.
Es wird im Bewusstsein der Menschen keinen Bereich des menschlichen Lebens mehr geben, der so ist, wie er ist, und kein »Optimierungsproblem darstellt«. 141
Gleichzeitig aber geschieht dasselbe auf der Ebene der sozialen Programmierung des Menschen. Nummer 2 hat nur zwei Gene: eines für Egoismus und eines für Profit (und vielleicht noch ein drittes für Angst). Wenn Leben Software ist, dann ist
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