Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Software auch Leben. Wen interessiert schon ein Mensch aus Fleisch und Blut, wenn man das, was man für den Kern seines Verhaltens hält, billiger und aufgeräumter als digitale Kopie programmieren kann?
Die Voraussetzung für die hier entstehende neue elektrobiologistische Universaltheorie für alles und jeden war, dass man Gene, Computer-Algorithmen und deren Programmierbarkeit in einen engen Zusammenhang brachte.
Während Evolutionsbiologen die Spieltheorie für die Berechnung darwinistischer Überlebens- und Selektionsprozesse in der Natur entdeckten, schleuste umgekehrt Ken Binmore in den Neunzigerjahren das »egoistische Gen« in die Spieltheorie. Die moderne Biologie und die Ökonomen hatten sich plötzlich eine Menge zu sagen, denn seit die Biologie sich selbst auch als »Informationswissenschaft« verstand, handelte man grundsätzlich mit den gleichen Dingen. In einem unscheinbar wirkenden Satz wird die ganze Explosivität dieser Kooperation deutlich:
»Niemand behauptet«, schreibt Binmore, »dass unsere Gene determinieren, was in irgendeiner Gesellschaft als gerecht empfunden wird, sondern nur, dass die Gene die Algorithmen defi nieren und beschränken, die eine Gesellschaft benutzt, um zu bestimmen, was gerecht ist. Aber solch ein Algorithmus kann nicht ohne In put, auf dem er herumkauen kann, funktionieren.« 142
Wieso man das einmal gelesen haben muss? Weil nach diesem Satz nur noch ein Träumer darauf bestehen kann, etwas anderes zu sein als ein Roboter, wenn doch beide, Mensch und Roboter, in ihrem allerinnersten Kern von etwas definiert werden, das Algorithmen in Bewegung setzt.
Hier hat man, eingepackt in durchsichtige Folie wie ein neues iPhone, das Modell: Wer die Algorithmen schreibt, schreibt den neuen Menschen. Im Informationskapitalismus wird der Mensch zur Summe seiner Algorithmen. Deshalb ist es so gewinnbringend, sie zu erfassen, zu analysieren und zu vergleichen.
Es ist egal, ob aus ihnen die Resultate ermittelt werden, die heute Google und morgen eine noch viel bessere Suchmaschine über einen auswirft, oder der Bank-, Polizei- oder Krankenkas sencomputer. Man kann gegen den digitalen Vorbehalt, dass man ein Sicherheits- oder Kreditrisiko ist, ebenso wenig klagen wie gegen das Gen für Alzheimer oder Laktoseunverträglichkeit.
Die einzige Unsicherheit besteht darin, ob aus der Disposition wirklich eine Krankheit wird. Und so wie heute bestimmte gesundheitliche Lebensführungen bei genetischen Veranlagungen empfohlen oder vorgeschrieben werden, so werden wir das Gleiche bei sozialen, durch Algorithmen definierte Unverträglichkeiten erleben.
Bereits jetzt senken Versicherungen in Großbritannien Prämien, wenn man bereit ist, seinen Fahrstil überwachen zu lassen. Stephen Baker beschreibt in der »Business Week« eine amerikanische Firma, die heute bereits aufgrund von Taxonomien 25-jährige Arbeitnehmer mit 50-jährigen vergleicht, um herauszufinden, wie der heute 25-Jährige als 50-Jähriger sein mag. Und Menschen, die ihre soziale Kommunikation steuern, um ihre Kreditwürdigkeit zu erhöhen, haben bereits begonnen, das Spiel mitzuspielen.
Man sieht an dieser Stelle in Echtzeit und mit unbewaffnetem Auge, wie neoklassische Ökonomie, Darwinismus und Computertechnologie zu einer neuen Supertheorie verschmelzen. Wenn Marx irgendwo im 19. Jahrhundert stecken blieb, wie viele glauben, so ist es Darwins gefährlichen Schülern gelungen, den Briten fit für das Spiel des Lebens im 21. Jahrhundert zu machen.
Gene sind winzige Überlebensmaschinen in der Überlebensmaschine Mensch, der eine winzige Überlebensmaschine in der Überlebensmaschine Markt ist, und all das ist kein Wunder, sondern das Ergebnis eines einfachen, fast geistlosen Prozesses, für den die Natur dankenswerterweise die gleichen Rezepte benutzt wie die automatisierten Finanzmärkte. Die Natur wird nun selbst zu Nummer 2. Und Nummer 2 damit zu einem Naturgesetz. In den Worten des Philosophen Daniel Dennett:
»Und hier also ist Darwins gefährliche Idee: die algorithmische Ebene ist die Ebene, die am besten die Geschwindigkeit der Antilope erklärt, die Flügel des Adlers, und die Form der Orchidee, die Vielzahl der Arten und all die anderen Wunder in der Welt der Natur«.
Denn was treibt alle diese Rechenmaschinen an? Selbstmaximierung des individuellen Überlebensprofits, Kooperation nur, wenn es den eigenen egoistischen Zwecken dient, »geistlose« Zielgerichtetheit, wie der soziobiologische Spieltheoretiker John
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