Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
noch nach den einfachen Regeln der Selbstmaximierung tun, die man ihnen einprogrammiert hat.
Solange sie auf dem Boden der »Verfassung« bleiben – Egois mus bedeutet Profitmaximierung, und diese Verfassung der Auto matenwelt hat am grundlegendsten Ken Binmore geschrieben –, ist auch den Agenten alles erlaubt. Und weil man einander grundsätzlich misstraut, ersetzt das Hamstern von Information über das, was er oder sie denkt und vorhat, die Kommunikation.
»Lüge« ist in dieser Welt eine außermoralische Angelegenheit, und die planmäßige Unwahrhaftigkeit ist dabei das geringste Problem: Auch Selbstbetrug, Illusionen, Strategien, mit denen Menschen »sich etwas vormachen«, fallen in der Epoche von »Big Data« – der Totalvernetzung aller Daten von Menschen und Dingen – in diese Kategorie.
Unternehmen, die sich und anderen etwas einreden, werden an der Börse durchschaut und bestraft, oder sie spielen, wie bei Lehman und AIG , lange Zeit erfolgreich am Pokertisch mit. Dort, wo im klassischen Sinn »gelogen« wurde, fällt es leicht, juristische und moralische Urteile zu fällen. Ganz anders aber sieht es aus, wenn die Beteiligten selbst noch nicht wissen, was sie wissen.
Seit Generationen leben Menschen mit dem Paradoxon der »unbeabsichtigten« Konsequenzen, und ein wichtiger Teil juristischer Wahrheitsfindung besteht darin, herauszufinden, was einer bewusst geplant oder unbewusst verschuldet hat. Diese Linie verschiebt sich, wenn Technologien entstehen, die einerseits dieses implizite Wissen benennen können, aber andererseits von Menschen eingesetzt werden, die überzeugt sind, dass Bluffs die Norm sozialen Verhaltens sind.
Der Programmierer Alex Pentland entwickelt und propagiert Geräte, die menschliche Signale lesen können. »Signal« klingt harmlos und steril. Gemeint aber sind Informationen, von denen der Mensch selbst gar nicht weiß, dass er sie hat.
Wissenschaftler wie Pentland sind keine Frankensteins. Sie präsentieren Technologien, die stets für die dunkle und die helle Seite der Macht verwendet werden können. »Pentland vermutet, dass solche Art der Überwachung nützlich sein könnte, um Menschen zu identifizieren, die potenziell einem Burn-out entgegensteuern und deshalb genauer beobachtet werden müssen.« 171
Doch Informationen in Märkten werden immer im Kontext der »verdeckten Spiele« gesammelt und bewertet: Der Mitspieler oder die Mitspielerin verschweigen etwas, behalten etwas für sich, um daraus Profit zu schlagen. Keine Firma oder Organisation würde sagen, sie wolle herausfinden, was ihre Mitarbeiter geheim halten. Spieltheorie in normalen Arbeitsumgebungen klingt dann eher so:
»Weil Menschen dazu neigen, Stress vor anderen zu verbergen, kann es schwer, wenn nicht unmöglich sein, die Anzeichen zu erfassen. Für eine Studie befestigten Pentland und sein Stu dent Michael Sung physiologische Sensoren an den Körpern von Studenten, die Poker um echtes Geld spielten. Sie überwachten die Körperbewegungen, Hautreaktionen und den Herzschlag. Sie fanden heraus, dass sie hohe Stressmomente mit 80-prozentiger Treffsicherheit identifizieren konnten. Sie konnten außerdem in 70 Prozent der Fälle herausfinden, ob die Spieler blufften.« 172
Das Experiment ist hier nur wichtig, weil es nichts anderes ist als die Übertragung des Lügendetektors in das Spiel unseres Lebens. »Data mining«, die Ausbeutung jeder Art von digitaler Information, verschmilzt längst mit dem, was Alex Pentland »Rea lity mining« nennt. 173
Jeder kennt den aktuellen Anwendungsbereich der Lügendetektoren aus dem militärisch-politischen Bereich. Der neue Krieg gegen den Terror, der den Kalten Krieg ablöste, ist überreich an Beispielen. So sonderbar es ist, dass fast hundertjährige Rollstuhlfahrerinnen sich an Flughafenkontrollen entkleiden müssen, weil sie in ihrem Gefährt eine Waffe versteckt haben könnten: Wir sind im Großen und Ganzen bereit, das Prin zip fundamentalen Misstrauens an solchen Schlüsselorten von Kommunikation oder Verkehr zu akzeptieren, und dazu gehören Nacktscanner ebenso wie das Abtasten durch fremde Menschen, das Ausziehen von Schuhen, das Öffnen und Durchsuchen von Aktenkoffern, das Erfassen von Fingerabdrücken bei der Einreise usw.
Wir diskutieren hier, um jedes Missverständnis auszuschlie ßen, nicht die unbezweifelbare legitime Abwehr von Terrorismus. Allerdings ist es genau diese erkennungsdienstliche Behandlung, die zum Wesen der Informationsökonomie
Weitere Kostenlose Bücher