Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Objekte, ist immer noch tief im westlichen Denken verankert … Eine Konsequenz dieses Glaubens ist, dass unsere Logik immer noch dem Muster physikalischer Objekte folgt.« 235
Hier wird ein Unterschied geleugnet, der zur Alltagser fahrung und zum common sense der Menschen gehört. Wenn es der Geist ist, der die Elemente manipuliert und kontrolliert, dann gilt dies auch für den Geist selbst: Er kann ebenso manipuliert und kontrolliert werden wie Stahl, der zu Autoblechen wird. Selbst die Informatikerin Danah Boyd, die sich bei Microsoft um genau diese Fragen der »Big Data«-Verarbeitung kümmert, spricht von einem »sonderbaren Augenblick des Grusels«. 236
Denn in einer solchen Welt, in der die einzige konkrete und solide Sache Informationen sind, können die menschlichen Sinne keine Überlebenswerkzeuge mehr sein, ja nicht einmal zulässige Beweismittel.
Schauen Sie, dort drüben in der Ecke stehen Leute, die sich unterhalten. Sie tauschen Informationen aus, sie amüsieren sich, sie machen Geschäfte, vielleicht reden sie auch nur Belangloses. Entscheidend ist, dass sie alle durchs Sprechen einen gemeinsamen sozialen Raum bilden. Eine amerikanische Firma hat sich auf die Analyse solcher Räume spezialisiert, ihr digitales Namensschild n TAG zeichnet genau auf, wer mit wem wie lange redet.
Der Tauschhandel zwischen Geist und Sache, zwischen Software und Hardware, findet über Routinen statt. Das ist der Grund, warum alle Religionen solchen Wert auf Exerzitien und Rituale legen. Alles in ihnen ist definiert, jede Handbewegung und jedes Wort, ein ewiger Algorithmus, der in den meisten Fällen die Verwandlung von Materie in Geist oder von Geist in Materie zum Ziel hat. Es ist ein Austausch, der vom Abendmahl über die Labors der Alchemisten bis zum Zenbuddhismus reicht.
Im Alltagsleben allerdings sind sich die meisten Leute heute darin einig, dass man Routinen besser von Sklaven ausführen lassen sollte. Routinen, so sagen sie seit Henry Ford seine ersten Fließbänder baute, machen Menschen kaputt. Jeder denkt an Fließbänder und Stumpfsinn, besser geeignet für Maschinen als für denkende Wesen. Jetzt, wo dieser Sklave in Gestalt des Computers unser gesamtes Leben nach Routinen absucht, die er für uns übernehmen kann, gehen die Propagandisten der neuen Arbeitswelt noch einen Schritt weiter.
Jetzt steht das ganze konventionelle Leben, das auf einer stabilen Identität und einer regelmäßigen Arbeit aufbaut, in dem Verdacht, nichts anderes als eine solche Routine zu sein. »Zwanzig Jahre Erfahrung«, sagt Andy Hargadon, Betriebswirt an der Universität von Kalifornien, »sind oft nur ein Jahr Erfahrung, die zwanzig Mal wiederholt wird.«
Das »Ich« ist in dieser Sichtweise eigentlich nur eine störende Gewohnheit, ein Automatismus, der stumpf und träge macht. Weil man nur ist, was man tut, und ständig etwas Neues tun muss, produziert man auch permanent ein neues volatiles Selbst. Das individuelle Ich ist, im Idiom der angewandten Informationstheorie, nichts anderes als »Noise«: »Wir brauchen keine Namen«, sagt ein Google-Manager der »New York Times«, »Namen sind nur Rauschen.«
Das suggeriert, ganz in der Logik der »kalifornischen Ideologie«, dass der Mensch als Avatar und befreit von den Zwängen der Wiederholung gleichsam körperlos wird, ein reine Idee, Zeit und Muße zur Kontemplation und Kreativität findet und, nebenbei gesagt, sich auch nicht mehr mit zermürbenden Arbeitserfahrungen herausreden kann, wenn ihm die Kraft zu dieser Kreativität fehlt.
Es lohnt sich, die Sache auf einem anderen Bildschirm anzuschauen, dort, wo Menschen essen müssen, geboren werden und sterben. Alle die Daten, die in den Datensupermärkten zum Kauf angeboten werden, stammen von Fließbändern, in denen Apparate sie, wie glühende Verdrahtungen, aus Menschen herausgelöst haben.
Während in der Realwirtschaft Roboter Autos oder Kaffeemaschinen aus unzähligen Teilen zusammensetzen, verschweißen, lackieren oder verpacken und am Ende mit einer Marke versehen, zerlegen auf den Fließbändern des digitalen Kapitalismus die Apparate den Menschen in seine Einzelteile. Wenn der Mensch ist, was er tut, dann gilt das auch umgekehrt: Man weiß, was er ist, wenn man beobachtet, was er tut. Weiß man genug, weiß man, was ein Mensch tun wird, auch wenn der selbst es noch gar nicht weiß.
Das Fließband, darauf hat Sigfried Giedion in seiner grundlegenden Geschichte der Mechanisierung hingewiesen, war immer schon
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