Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
dabei einfach so nebeneinanderzusitzen, die Federung des Fords war nicht für Aufruhr im Wageninneren gebaut und sein Vater versuchte, die Finger seines Sohnes von seiner Kehle zu lösen, und Clarendon schlug kraftlos nach seinem Gesicht wie eine Motte, die hilflos in den Gardinenfalten flattert, aber Bailey hielt die Erstickungskräfte stetig aufrecht und spürte, wie unter seinem linken Daumen brav das Zungenbein brach – und danach dauerte es nur noch sieben oder acht Sekunden, dann wurde der Mann neben ihm schlaff, und der Kampf war vorüber. Bailey lehnte sich zurück, ruhte sich ein wenig aus und sah, wie seinem Vater mindestens ein Schweißtropfen über die Stirn rann, bevor er am Damm einer geschwollenen Vene zum Stehen kam. Dann holte er seine Spielzeuglok aus der Tasche und rammte sie wieder und wieder in Clarendons Leib, bis sie durch den Brustkorb des Physikers brach. Er langte in den Tunnel, den er erzeugt hatte, wandte eine Art forschen Korkenziehergriff an, um Clarendon das Herz herauszureißen, und biss tief hinein, wobei er sich über den noch warmen Leichnam beugte, damit ihm das Blut nicht auf die Hose tropfte. Um sich von dem Geschmack abzulenken, dachte er an Lukrez. »Wo das Leere nicht ist, da erscheint auch jede Verbeulung, jedes Zerbrechen unmöglich, wie jegliche Teilung in Hälften. Nässe berührt sie nimmer, noch tief einwirkende Kälte, noch eindringendes Feuer, die alleszerstörenden Feinde. Aber je mehr von dem Leeren ein Ding in dem Innern beherbergt, um so leichter erliegt es dem Eingriff jener Gewalten.«
Als er fertig war, spuckte er eine letzte Auster aus Knorpel auf das Armaturenbrett und putzte sich mit Clarendons Taschentuch Mund und Brille ab. Dann verließ er das Auto, stieg die Versorgungstreppe hinab und ging zurück in sein Labor, um am Ultramigrationsakkumulator ein paar Messwerte abzulesen. Morgen würde er Adele bitten, weitere Tests an der Teleportationsmaschine vorzunehmen. Er wusste schon jetzt, dass sie erfolgreich verlaufen würden. Das hatte er seinem Vater an den Augen abgelesen.
7
LOS ANGELES, 1940
Der Giftgasangriff des US -Militärs auf Loesers Haus erfolgte kurz nach Einsetzen der Morgendämmerung, als Loeser noch im Bett lag. Beim Aufwachen wurden seine Nasenlöcher von einem Gestank gefoltert, der ungefähr eine Milliarde mal schlimmer war als alles, was er bisher gerochen hatte – ein kakodämonischer Strudel aus Gummi und Knoblauch und Ruhr und Totschlag, nicht unähnlich dem vielleicht, was das Publikum im Théâtre des Encornets unmittelbar vor dem Teleportationsunfall von 1679 erschnuppert hatte. Er erinnerte sich an etwas, das er einmal über britische Soldaten und Chlorgas-Granaten zu Beginn des letzten Krieges gelesen hatte, schnappte sich ein schmutziges Baumwollunterhemd, faltete es doppelt, zog seinen Penis aus der Pyjamahose und pisste hinein, bis das Unterhemd uringesättigt war. Dann presste er es sich fest auf den Mund und lief durch das Wohnzimmer aus dem Haus, noch immer barfuß. Er blickte sich um, konnte aber keine Bomber am Himmel entdecken, und auf dem Palmetto Drive führte eine alte Dame ihren knautschgesichtigen alten Boxer spazieren, als wäre nichts geschehen. Vorsichtig nahm er das Unterhemd vom Gesicht. Die Luft hier draußen war aalglatt wie immer. Also war Loeser wirklich das einzige Ziel des Angriffs gewesen. Offenbar hatte Präsident Roosevelt in seiner für alle modernen Amerikaner typischen Faulheit beschlossen, seinen Rachefeldzug gegen Deutschland bei dem Angehörigen dieser Nation zu beginnen, der gerade am bequemsten zu erreichen war.
Als Woodkin die Tür der Villa Gorge öffnete, erweckte er so sehr den Eindruck von jemandem, der schon vor Ewigkeiten aufgestanden war und sich angezogen hatte, dass schon sein Anblick bei Loeser einen leichten Anfall von circadianem Schwindel auslöste. »Guten Morgen, Mr Loeser.«
»Seid ihr in den Krieg eingetreten?«
»Sie meinen die Vereinigten Staaten? Noch nicht, Sir, aber der Colonel meint, es könne nicht mehr lange dauern. Möchten Sie hereinkommen? Darf ich Ihnen das vielleicht abnehmen?«
Loeser merkte, dass er sich noch immer an dem urinsatten Unterhemd festhielt, als hätte er Gorge ein Geschenk mitbringen wollen und sich mutig entschieden, mal etwas anderes zu kaufen als Blumen oder die übliche Flasche Wein. Eigentlich hatte er fragen wollen, ob er sich bei Gorge im Keller verstecken dürfe, aber jetzt sagte er stattdessen: »Können Sie mit zu mir kommen? Da ist
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