Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Loeser. Er hatte Rackenham seit der Premiere von Urashima, der Fischer nicht mehr gesehen.
»Ich hatte den Vorschuss schon ausgegeben, also hatte ich keine andere Wahl«, sagte Rackenham.
»Nein, ich meine, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, unsere Handlung zu klauen?«
»Ich weiß nicht genau, was du meinst. Lavicini hat wirklich gelebt. Er gehört niemandem. Ich habe alles selbst recherchiert.«
»Aber du weißt sehr wohl, dass du nie auf die Idee gekommen wärest, einen Roman über ihn zu schreiben, wenn ich dir nicht von unserem Stück erzählt hätte.«
»Ja, wie die meisten unter uns bilde ich mich in Gesprächen gern weiter.«
Loeser wusste, dass er nicht zugeben durfte, wie sehr das Fehlen einer Loeser-Figur ihn beleidigte. »Es wäre nicht ganz so schlimm, wenn du nicht alles falsch verstanden hättest!«
»Was meinst du denn?«
»Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Unter den zwanzig oder dreißig historischen Berühmtheiten, denen Lavicini in deiner lächerlichen Geschichte zufällig über den Weg läuft, ist sein alter Freund Leonardo da Vinci.«
»Ja, er hilft ihm beim Bau der Teleportationsvorrichtung.«
»Leonardo starb hundertneunundzwanzig Jahre vor Lavicinis Geburt.«
»Schlechtes Timing seinerseits.«
»Außerdem taucht bei dir jemand auf, der Leonardo als Signor da Vinci anspricht. ›Da Vinci‹ heißt ›aus Vinci‹. Das ist, als würde man Hildegard von Bingen als ›Fräulein von Bingen‹ anreden. ›Telegramm für Fräulein von Bingen!‹«
»Na gut, das war ein Ausrutscher.«
»Und da Vinci hat eine Taschenuhr und nennt Leute ›tosser‹ .«
»Du bist so ein Pedant, Loeser. Das ist ein Roman, und ich habe ihn schnell geschrieben. Wenn die Leserschaft historische Genauigkeit sucht, soll sie sich an das Domesday Book halten oder an den Wisden Cricketers’ Almanack .«
»Aber wozu um Himmels willen einen Historienroman schreiben, wenn man sich nicht dafür interessiert, wie es wirklich war? Dein Venedig ist schlimmer als Kempinskis New York.«
»Du musst wissen, ich habe nicht viel Fantasie«, sagte Rackenham. »Ich schreibe immer nur Schlüsselromane. Die Frage ist nur, ob ich mir die Mühe machen soll, den Schlüssel unter dem Blumentopf zu verstecken. Und mir dauernd neue Namen auszudenken, hat mich gelangweilt. Mit meinem letzten Buch habe ich etwas sehr Hässliches erlebt. In Schroffe Lüfte geht die Tochter des Richters nach einer Party mit drei Rugbyspielern ins Bett – die Geschichte ist bis ins letzte Detail wahr. Das ist einer Freundin aus Studentenzeiten passiert. Sie hat es mir in einer zärtlichen Stunde gestanden, kurz vor unserer unzärtlichen Trennung. Wenn ich eine erotische Demütigung plane, stelle ich mir das Gesicht des Mädchens dabei lieber in ein Kissen vergraben vor, nicht in ein Buch, aber diese eine war nicht dumm genug, mich noch mal ranzulassen, also musste ich meinen Verleger als Zwischenträger einschalten. Und ich glaubte, es würde unter uns bleiben, weil Rugbyspieler natürlich nicht lesen können und meine alte Flamme sich natürlich nicht über mich beklagen konnte, nicht einmal bei ihren Busenfreundinnen. Wenn sie es las, würde sie so wütend werden und sich so ohnmächtig fühlen, und ich könnte mich ihr bis ans Ende unserer Tage überlegen fühlen, wann immer ich ihr begegnete.«
»Und dann?«
»Einer der Rugbyspieler hatte einen Kumpel, der von dem Vorfall wusste und des Lesens mächtig war. Er erzählte allen dreien von dem Buch. Sie kamen mich in London suchen. Zum Glück habe ich in jener Nacht nicht zu Hause geschlafen. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich in Berlin gelandet bin.«
»Aber wenn du deine Hühnchen im Venedig des 17. Jahrhunderts rupfst, ist das doch dasselbe. Es ist doch immer noch ziemlich klar, wer sich hinter wem verbirgt.«
»Ja, aber meiner Theorie nach wird der Gedanke, mich aufzusuchen und zu mir zu sagen, ›Dieser syphilitische Gondoliere mit der Karnevalsmaske ist offensichtlich meine Wenigkeit‹, den Menschen so absurd vorkommen, dass sie sich das nicht antun werden. Das Historische ist eine Art Fantasiewelt, und das Fantastische lindert den Schmerz. Das scheint bisher gut zu funktionieren. Aber welche Vorkehrungen man auch trifft, es findet sich immer ein Vorwand für einen Wutausbruch, wie du eben bewiesen hast.« Rackenham trank seinen Kaffee aus. »Und dabei, Loeser, hatte ich gedacht, dass du noch immer gute Laune haben müsstest, nach allem, was gestern Abend mit Adele
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