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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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glaube ich, dass nur der Austausch der Zellen den Geschlechtsverkehr überhaupt möglich macht: Ich würde doch nie einer Frau die Klitoris küssen, wenn es sich auf molekularer Ebene um dieselbe Klitoris handeln würde, die andere Männer geküsst haben, anstatt nur auf einer ›Schiff des Theseus‹-Ebene. Aber diesmal ist mir das alles egal. Wenn ich sie habe, bestimme ich die Spielregeln neu. O Gott, Dieter, so etwas Großes ist bestimmt noch nie jemandem widerfahren. Man denke nur – in den vergangenen zwei Jahren war der Höhepunkt meines erotischen Lebens ein Flirt mit einer ältlichen Zahnarzthelferin, und jetzt das. Ach ja, ein Schinkenbrot, ein paar Essiggurken und ein Glas Champagner bitte – danke. Und ich habe sogar Marlene geschlagen! Es wäre mir nie eingefallen, dass sie länger brauchen könnte, jemand Neues zu finden, als ich, aber da kannst du mal sehen. Ich habe Adele Hitler, und sie hat noch immer niemanden. Überhaupt niemanden!«
    Ziesel nutzte die Atempause, um ihm zuzustimmen: »Nein, also, ich meine, Klugweil zählt ja nicht wirklich, oder?«
    Da war sie: die gleich große und entgegengerichtete Kraft.
    »Was hat denn bitte Klugweil damit zu tun?«, sagte Loeser.
    Irgendein blitzschneller mentaler Rechenprozess ratterte über Ziesels Gesicht. »Nichts. Er hat auch keine Freundin. Das wollte ich damit sagen.«
    »Er ›zählt nicht‹, hast du gesagt. Als was zählt er nicht?«
    »Worüber wir auch immer geredet haben. Ich habe nicht richtig zugehört.«
    »Du hast ganz genau zugehört. Es klang fast so, als wolltest du auf eine Art Verbindung zwischen Klugweil und Marlene hinaus.«
    »Nein, gar nicht.«
    »Lüg mich jetzt nicht an, Ziesel.«
    Ziesel wand sich. »Ich dachte, du weißt es schon.«
    »Dass der beste Freund, den ich in Berlin noch habe, meine Exfreundin fickt? Ist es das, was du mir sagen willst?«
    »Na ja …«
    »Nein, das wusste ich noch nicht.«
    »Aber du hast sie verlassen. Vor zwei Jahren. Er hat sie dir ja nicht gerade ausgespannt.«
    »Willst du mir jetzt vorschreiben, worüber ich mich ärgern darf? Scheiße, ich ärgere mich, worüber ich will. Ich brauche keine Genehmigung. Herrgott, ich erlaube dir großzügig, mit mir zu Mittag zu essen, und das ist der Dank.« Der Kellner brachte ihm das Glas Champagner. Loeser kippte es hinunter, und dann lief er aus dem Romanischen und sprang in eine Straßenbahn.
    Manchmal konnte Psychologie ganz einfach sein: Loesers Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und seither hasste er Autos. Er hatte nie fahren gelernt und weigerte sich sogar, bei Freunden mitzufahren. Taxen waren in Ordnung, denn das Taxi war im Grunde eine Sonderform des Busses. Und im Zug konnte er sich entspannen. Aber Straßenbahnen waren ihm am liebsten. Ein Menschenkenner hätte nach eingehender Betrachtung festgestellt, dass Loeser nicht der Typ war, der aus allen Poren Menschenfreundlichkeit und Kameradschaftsgeist verströmte. Aber sobald er eine Straßenbahn bestieg, schwanden all seine Empfindlichkeiten dahin, und er blickte sich um, ließ den Blick über die anderen Passagiere mit ihrem geheimnisvollen Leben schweifen und fand sich von tiefer Dankbarkeit erfüllt, in einer Metropole des 20. Jahrhunderts geboren worden zu sein. Er genoss die wurstige Großzügigkeit des Straßenbahnnetzes: Wer sonst würde sich je so bemühen, dir bei der Erfüllung deiner Sehnsüchte zu helfen, ohne auch nur einen Augenblick lang innezuhalten, um in Erfahrung zu bringen, um was für Sehnsüchte es sich wohl handelte? Selbst ein Arzt würde nur dann tun, worum du ihn batest, wenn er glaubte, dass es dich gesünder machte. Eine Straßenbahn aber nahm ohne Zögern dein Fahrgeld, auch wenn du unterwegs warst, um dich von einer Brücke zu stürzen. Loeser fand es unerträglich, wenn seine Freunde klagten, die Straßenbahn sei zu teuer, zu voll oder zu unverlässlich. Wie verwöhnt sie waren! Hecht hatte ihm einreden wollen, wenn er dieses Gefühl auf die ganze Menschheit ausdehnte, würde ihm klar werden, dass er in tiefster Seele Kommunist sei, aber Loeser war nicht interessiert. Keine Partei würde ihn je zu einer Party bringen. Vor Hecht zitierte er gern aus Politik . »Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte«, hatte Aristoteles geschrieben, »so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herren der Sklaven.« Werkzeuge wie die roboterartigen güldenen Dienstmägde, die

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