Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
Vom Netzwerk:
Postskriptum: ›Was ich beim Abendessen zu fragen vergaß: De Gorge sucht einen Friseur für seinen Hund – kannst du mir einen empfehlen?‹«
    Sie bestellten noch mehr Cognac. »Wer war Sauvage?«, fragte Scramsfield.
    »Ein Zimmermann. Aber ein ganz besonderer. Er hat Lavicini bei einigen von dessen Bühnenmechanismen geholfen. Villayer war Politiker. Und Pascal kennen Sie natürlich.«
    Scramsfield nickte. Er hatte keinen blassen Schimmer. »Was war der Wunderhof?«
    »In Der Glöckner von Notre-Dame dringt der Stückeschreiber Gringoire dort ein.« In der breiten, ungepflasterten Sackgasse am Kloster der Filles-Dieu, erklärte Loeser, war eine Art unabhängiger Staat der Verbrecher entstanden, eine Vatikanstadt der Gesetzlosigkeit voller Einbrecher, Taschendiebe, Wegelagerer und Prostituierter, die nach ihren eigenen Regeln lebten, ihren eigenen König hatten und sogar ihren eigenen Dialekt sprachen. Der Wunderhof verdankte seinen Namen zum Teil der Tatsache, dass, kaum kehrten die Bettler des Nachts dorthin zurück, die Krüppel »wunderbarerweise« wieder laufen konnten, die Blinden »wunderbarerweise« sehen, die Verpustelten sich »wunderbarerweise« die Geschwüre abwuschen und so fort; zum Teil aber auch dem Glauben, dass er voller Wahrsager, Hexen und Teufelsanbeter sei. »Es gab dort eine Sekte, deren Angehörige die Körperteile noch lebender Tiere verspeiste, um die Eigenschaften dieser Tiere anzunehmen.« Scramsfield musste an Woronoff denken. »Später ließ Ludwig XIV . das alles von der Polizei abräumen, und dann baute er einen Boulevard mitten hindurch.«
    »Und was bedeutet der Brief nun Ihrer Meinung nach?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich wäre im Paris des Grand Siècle offenbar nicht weit gekommen, denn wenn ich einen Brief schreibe, mache ich gern deutlich, worum es geht. Das Seltsame aber ist: Lavicini, Villayer, Sauvage … sie alle sind in den Jahren 1678 und 1679 merkwürdigen Unfällen zum Opfer gefallen. Viele glaubten damals an eine Verwicklung Lavicinis in … nun, es ist fast zu lächerlich, es auszusprechen. Und ich wüsste nicht, dass jemand Villayer und Sauvage etwas Ähnlichem verdächtigt hätte. Aber da haben wir Villayer, der in den Wunderhöfen umkommt, wo offenbar die Fischsekten ihr Unwesen trieben. Und da haben wir Sauvage, der ›unerhörte Reisen‹ auf einen ›dunklen, tiefen Grund‹ unternehmen will. Ich habe keine Ahnung, wie ich das verstehen soll. Morgen will ich dorthin gehen, wo das alte Théâtre des Encornets stand, wo Lavicini ums Leben kam. Und ich möchte mehr über Villayer und Sauvage in Erfahrung bringen.« Loeser schob den Brief wieder in seinen Schutzumschlag und wickelte das Buch ein. »Nun, hier gibt es kein Anzeichen von ihr. Glauben Sie nicht, wir sollten es woanders versuchen?«
    Und so gingen sie ins Strix und dann ins Zellis. Aber Adele fanden sie nicht. Inzwischen war es nach Mitternacht. »Gibt es denn niemanden, den wir fragen könnten?«, sagte Loeser. »Sie müssen doch jemanden kennen, der Bescheid weiß.«
    »Großartige Idee.« Sie standen auf und liefen das Lokal ab. Scramsfield wurde in diesen Tagen von seinen Freunden nicht mehr so warmherzig begrüßt wie früher, aber er wusste, dass immer weniger Geld aus Amerika in die Stadt kam, und selbst Jovialität hatte ihren Preis.
    Nachdem sie sich fünf oder sechs Mal erkundigt hatten, sagte Loeser: »Bisher haben wir nur mit Amerikanern gesprochen.«
    »Na und?«
    »Ich weiß noch nicht genau, was Adele dazu gebracht hat, nach Paris zu kommen. Aber ich habe eine Theorie, weil ich noch weiß, was sie in Berlin vor ihrer Abreise als Letztes getan hat: Sie hat mit einem schielenden Philosophiestudenten aus Paris getändelt. Ich glaube, das hat ihr so viel Spaß gemacht, dass sie gleich hierhergefahren ist, auf der Suche nach noch mehr amour .«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich will damit sagen, dass sie sich vermutlich an Franzosen hängt, nicht an Amerikaner. Ich will da nicht unnötig heikel sein, Scramsfield, aber kennen Sie überhaupt irgendwelche Gallier?«
    »Natürlich.« Aber er hatte eine Sekunde lang gezögert und merkte, dass es Loeser nicht entgangen war.
    »Wie lange leben Sie eigentlich schon hier?«, fragte Loeser, dessen Blick nun strenger wurde.
    »Seit fünf Jahren.«
    »Und haben Sie auch nur einen einzigen französischen Freund?«
    »Ja. Einen alten Mann namens Picquart. Aber sonst … Amerikaner haben eigentlich keine französischen Freunde. Sie haben

Weitere Kostenlose Bücher