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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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Mutton vielleicht. Aber niemand aus der wirklichen Welt. Wenn er doch nur die Klaviersaite hätte vergessen können, die sich in ihrer Stimme gespannt hatte. »Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.« Das war Rilke. Der alte Rainer war Dolores Mutton offenbar irgendwann über den Weg gelaufen.
    Die Villa Gorge
    Inzwischen war Loeser nur allzu vertraut mit der kalifornischen Architektur und ihren stumpfsinnigen Kreuzungen aus Gotik, Tudor, Mission und so weiter, aber die gewaltige rot gedeckte Villa Gorge war ein so willkürlicher und oxymoronischer Stil-Mischmasch, dass man sie für das Ergebnis einer Runde Cadavre Exquis halten mochte. Überall gab es Säulen, Türmchen, Rundbögen, Gitter, Balkone, Arabesken und Wasserspeier, die alle keinen anderen Grund für ihre Existenz zu haben schienen, als im Betrachter den Durst nach einem großen Glas Gugelhupf auf Eis zu wecken. Trotzdem hatte es einen seltsamen Charme, und der Garten vor dem Haus war ein fröhliches Blumenmeer. Als er geklingelt hatte, wartete er auf der Veranda und hatte kurz das Gefühl, jemanden auf dem Fahrersitz eines schwarzen Chevrolets zu sehen, der am Ende der Straße geparkt war, aber bevor er sich seiner Sache sicher war, wurde die Haustür aufgerissen, und Gorges Privatsekretär, ein geschlechtsloser Geselle namens Woodkin, führte ihn hinein.
    »Colonel Gorge ist in seinem Arbeitszimmer, aber er wird gleich herunterkommen. Bitte folgen Sie mir in den Salon.«
    Am vergangenen Nachmittag hatte man Loeser bei seiner Rückkehr ins Chateau Marmont eine telefonische Nachricht von Rackenham übermittelt: »Ich bin morgen Abend zum Essen bei Gorge und habe ihm gesagt, dass ich noch jemanden mitbringe. Das ist kurzfristig, aber du hast hier keine Freunde, also gehe ich davon aus, dass du Zeit hast. Sei um sieben Uhr dort und versuche, nicht zu säuerlich zu wirken.« Teils dieser letzten Anweisung halber und teils um zu rechtfertigen, dass er das absurde Stück eingepackt hatte, trug er eine Krawatte mit einem hässlichen Uhrenmuster, ein Geschenk seiner Großtante. Er war ohne bestimmte Erwartungen an den Abend hergekommen. (»Ja, Colonel Gorge, eine Führung durch das Haus wäre mir ein großes Vergnügen. Wird sie zufällig Ihre legendäre Schatzkammer mit den ›seltenen Büchern‹ einschließen?«) »Bin ich der Erste?«, fragte er.
    »Nein, Mr Rackenham ist schon hier. Möchten Sie etwas trinken?«
    »Whisky, bitte.«
    »Ich fürchte, Colonel Gorge gestattet keine Spirituosen im Haus.« Woodkins Sprechweise war auf so elegante Weise servil, dass es überhaupt nicht klang, als hätte er etwas laut gesagt, sondern mehr, als hätte er die Aufmerksamkeit auf eine gewisse Kombination semantischer Einheiten lenken wollen, von der er fand, man könnte sie ansprechend finden.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Loeser.
    »Es gibt grundsätzlich keinen Alkohol. Da ist er sehr streng.«
    »O schöne neue Welt! Na ja, haben Sie vielleicht Eau de Toilette? Desinfektionsmittel? Kochwein? Irgendetwas in der Art?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Was trinkt man denn hier normalerweise?«
    »Der Colonel bevorzugt Ginger Ale.«
    Der »Salon« hatte ungefähr die Ausmaße des Kirchenschiffs einer durchschnittlichen Kathedrale. Rackenham stand am anderen Ende, praktisch außer Hörweite, und studierte das Porträt eines muskulösen, grauhaarigen Mannes mit einem grimmigen, fast irren Blick und der Art Schnurrbart, gegen die man beim Armdrücken verlieren würde. Zehn solcher Porträts hingen im ganzen Raum an den Wänden, und als Loeser durch den dicken goldenen Teppich zu Rackenham hinüberwatete, machte er zufällig Halt und merkte, dass die Stahlspitzen ihrer Blicke sich auf einer unsichtbaren Achse genau dort trafen, wo er stand. Unfreiwillig entfuhr ihm ein ängstliches Quieken, und er hoppelte aus dem Weg, um rasch weiterzueilen. Rackenham nickte zur Begrüßung, und Loeser las die Gravur auf dem Messingschild des ihm nächsten Porträts: » HIRAM GORGE : 1854 – 1911«. Er warf einen Blick auf dessen Nachbarn zur Linken und zur Rechten. »Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Es ist immer dasselbe Gesicht. Ich meine, das ist nicht nur Familienähnlichkeit – sie sind identisch.«
    »Den Grund dafür kannst du sicher erraten«, sagte Rackenham.
    Loeser schnappte nach Luft. »Mein Gott, du meinst, Gorge ist

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