Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Union Station an der Plaza errichtet wurde, war daraufhin, wie Blimk jetzt erklärte, im Jahr 1933 unter anderem das alte Chinatown mit seinen Bordellen und Opiumhöhlen abgerissen worden, um Platz dafür zu schaffen, und fünf Jahre lang hatte es der chinesischen Bevölkerung von Los Angeles an einem eigenen Ort gemangelt. Doch nun lagen zwei Viertel im Wettstreit um ihre Gunst: China City, erbaut von einer reichen Salonlöwin aus San Francisco namens Christine Sterling, einer Freundin Harry Chandlers, die schon die nahe Olvera Street in eine »mexikanische« Touristenattraktion verwandelt hatte, und New Chinatown, ein paar Straßen weiter nordöstlich, erbaut von einem Geschäftsmann namens Peter Hoo Soo, dem Präsidenten der Chinese American Association. Sterlings Bauprojekt war viel verschnörkelter: Sie hatte bei Cecil B. DeMille Filmausstattungs-Requisiten angemietet und das Gemeindehaus vom einem Bühnenbildner namens Wurtzel nach Art einer chinesischen Piratendschunke ausstatten lassen.
»Den kenne ich aus Berlin!«, sagte Loeser.
»Er arbeitet jetzt viel beim Film, für Goatloft«, sagte Blimk.
»Aber ich sehe hier gar keine Chinesen. Außer den Kellnern und Rikschafahrern.«
»Würdest du als Schlitzauge hier wohnen wollen?«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
Auf den Partys bei den Muttons klagten die jüdischen Neuankömmlinge immer, wie sie erst entlassen und dann aus dem Land vertrieben worden seien. Es habe ihnen das Herz gebrochen, sagten sie, und sie behaupteten, Berlin bis in die kleinste Einzelheit zu vermissen. Loeser malte sich nun aus, wie man sie alle in eine Germany City stopfte: ein paar Quadratkilometer frisch gestrichener Kneipen, Kunstgalerien und Kabaretts, mit ihrem eigenen kleinen Potsdamer Platz und ihrem eigenen kleinen Romanischen Café und sogar ihrem eigenen Haus Vaterland (das, wie das Original, eine Bar im Amerika-Stil haben würde, die ihr eigenes Los Angeles haben würde, das seine eigene Germany City haben würde und so weiter ad infinitum). Das würde ihnen wahrscheinlich besser gefallen als Pacific Palisades. Er fand, dass Christine Sterlings China City aussah, als wäre Paris von einem Bühnenbildner nachgebaut worden, der das Original nur von Herbert Wolf Scramsfield und aus Der Zauberer von Venedig kannte; dennoch mutete es kaum weniger künstlich an als der Rest von Los Angeles, das allerdings nichts anderes nachahmte als sich selbst. Ein Mensch mit einem leichten Fall von Gorges Agnosie konnte durch die Dragon Road gehen und sich einbilden, wirklich in Peking zu sein. Was, wenn dieser Mensch, der alles Bildliche wörtlich nahm, den Sunset Boulevard hinunterspazierte? Würde er diese Cosmopolis besser verstehen als jeder andere oder in einer Rekursion gefangen sein? Wenn Loeser die Exilanten jammern hörte, dachte er manchmal bei sich, dass auch er seiner Berufung beraubt und aus seinem Heimatland vertrieben worden war. Seine Berufung war Sex. Sein Heimatland war der weibliche Körper. Er fühlte sich genauso verloren wie sie, aber mit ihm hatte keiner Mitleid. Und als er mit Blimk nach links in die Lotus Road abbog, wurde ihm klar, dass China City sich zu China genauso verhielt wie Mitternacht in der Schwesternschule zu einer lebendigen, atmenden Freundin. Auf den ersten Blick wirkte die Simulation vielleicht lachhaft, aber nach sieben Jahren fern der Heimat würde ein Einwanderer aus Guangdong vielleicht hierherkommen und verschämt, aber erleichtert weinen, weil dies dem, woran er sich erinnern konnte, noch am nächsten kam. Sie gingen an einem Restaurant vorbei, das damit warb, der Koch kenne »100 verschiedene Arten, ein Hühnchen zu machen« (als wäre er Gott), und Loeser schlug Blimk vor, Chop Suey essen zu gehen, weil er das noch nie probiert habe. Blimk erklärte ihm, dass man in China kein Chop Suey kenne. Und Loeser fand, ein von Amerikanern erfundenes chinesisches Gericht sei genau das, was er an diesem Vormittag essen wollte.
»Gestern sind ein paar Leute in den Laden gekommen«, sagte Blimk, als sie sich hingesetzt und bestellt hatten. Loeser hätte beinahe um eine Schildkrötensuppe als Vorspeise gebeten, aber dann hatte er an Urashima Tar ō denken müssen. »Wollten wissen, was ich an Miete zahle, wie lang ich schon da bin. Hab sie gefragt, was sie wollten, und sie meinten, sie kämen vom Amt für Straßenverkehr und wollten nur ein paar Sachen prüfen. Keine Ahnung, was meine Miete mit dem Straßenverkehr zu tun haben soll. Wenn ich es nicht besser
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