Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Nationen sprechen genauso deutlich für sich wie die fehlende Bereitschaft der USA und der Volksrepublik China, ernsthaft bindende eigene Verpflichtungen einzugehen. Umgekehrt hat der Ausstieg Deutschlands, Österreichs und der Schweiz aus der Nuklearwirtschaft inzwischen unübersehbar aufgezeigt, wie problematisch die Konsequenzen sein können, die ein solcher Alleingang selbst innerhalb Europas nahezu zwangsläufig nach sich ziehen muss. So groß also auch die Verlockung sein mag, populistischen Lockrufen zu folgen und vorgeblich nationalen Interessen den Vorrang vor der Rücksichtnahme auf Partner (oder gar Nachbarn) einzuräumen – inzwischen gibt es Grenzen, die uns, vor dem Hintergrund der explodierenden Bewohnerzahl unserer Erde, die Natur zwingend vorgibt. Sie haben zur Folge, dass kleinere Bevölkerungsgruppen nur noch überleben können, wenn sie sich zu größeren, als solche lebens- und wettbewerbsfähigen Einheiten zusammenschließen. Besser als am Thema der Energieversorgung kann man das kaum nachvollziehen.
Zugleich handelt es sich beim Thema des Atomausstiegs um ein handgreifliches Beispiel, wie zwiespältig die Lehren sind, die daraus zu ziehen sind. Als unser unmittelbares Nachbarland ist Frankreich (wobei Polen auf bestem Wege zu sein scheint, ihm zu folgen) bekanntlich mit Atommeilern vollgepflastert. Das nach allen gängigen Maßstäben offensichtlich längst überalterte AKW Fessenheim steht direkt vor der badischen Tür. Hinzu kommt, dass die Energieerzeugung nach alter Tradition (unmittelbar oder mittelbar) in der Hand des französischen Staates liegt. Unter diesen Umständen bedarf es nicht der geringsten Diskussion, dass bereits der zarteste Versuch einer Koordination des energiepolitischen Vorgehens sofort an dem im Verlauf der Katastrophe in Fukushima über Nacht gefassten Beschluss der deutschen Bundesregierung gescheitert wäre, künftig aus der Atomwirtschaft auszusteigen. Übrig bleibt nur eines: dass die gesamte deutsche Bevölkerung genau wie viele der produzierenden Wirtschaftsunternehmern künftig mit erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen rechnen müssen, für Letztere verbunden mit einer gefährlichen Beeinträchtigung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Jedenfalls macht dieses – in vielerlei Hinsicht durchaus niederschmetternde – Beispiel deutlich, wie meilenweit sich grundlegende Einsichten über die zwingende Notwendigkeit einer durch gemeinsame europäische Institutionen (wie etwa das Parlament und eine künftige »Regierung«) festgelegten Politik und die hautnahen Realitäten des Alltags voneinander unterscheiden. Auch diese nüchterne Feststellung unterstreicht freilich nur die Schlussfolgerung, dass die Zeit drängt, die den Europäern verblieben ist, um die Kluft zu schließen und für ihre Zukunft vorzusorgen. Fast erübrigt es sich, hinzuzufügen, dass es neben der Energiepolitik und weiten sonstigen Teilbereichen noch mindestens ein breites wirtschaftspolitisches Gebiet gibt, das keinen Aufschub verträgt: eine gemeinsam erarbeitete und beschlossene Angleichung der in den Mitgliedsländern so unterschiedlichen allgemeinen sozialen Standards (wozu nicht nur die Rentensysteme, sondern beispielsweise auch die gesetzlichen Arbeitsbedingungen oder die Mitwirkungsrechte der Belegschaften von Wirtschaftsunternehmen zählen).
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Fast könnte es als Blütentraum erscheinen, wollte man sich tatsächlich zu der Hoffnung hinreißen lassen, dass reine Vernunft, gepaart mit der Fähigkeit zur nüchternen Einsicht in unentrinnbare Zwänge, die Mitgliedsstaaten jemals dazu bewegen könnten, in solchen Angelegenheiten wesentliche Teile ihrer traditionellen nationalen Souveränität an gemeinsame europäische Institutionen abzutreten. Diese Einschätzung betrifft auch keineswegs nur diejenigen Länder, deren entsprechende Halsstarrigkeit schon oft genug dazu beigetragen hat, dass längst überfällige Vereinbarungen entweder lange hinausgezögert wurden oder sogar endgültig gescheitert sind. An vorderster Stelle geht es, wie gesagt, regelmäßig um Großbritannien. Andere – wie die Tschechische Republik oder Polen – haben zumindest zeitweise kaum dahinter zurückgestanden. Doch von Fall zu Fall wird regelmäßig gern gemauert, wenn die eigenen Interessen ins Spiel kommen. Gut abzulesen ist das etwa am Verhalten der Niederlande und von Schweden, die sich zum Schutz der dortigen Banken dem traditionellen britischen Widerstand gegen die Einführung einer
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