Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
jetzt ein weiterer »Präsident« ins Spiel. Seine Aufgabe besteht darin, die Sitzungen des sogenannten »Europäischen Rats«, im Klartext: des Rats der Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer, vorzubereiten und zu leiten. Kaum kann es überraschen, dass man sich für diese Aufgabe recht reibungslos und schnell auf eine Persönlichkeit wie den früheren belgischen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy einigte – der sich zwar in durchaus vorteilhafter Weise durch seine sachorientierte Bescheidenheit, freilich sehr viel weniger durch eine erkennbare Neigung zur inhaltlichen Führung auszeichnet.
Ähnliches gilt für die Einrichtung jener bereits erwähnten Instanz, mit der man der ebenso ironisch-saloppen wie legendären Mahnung des früheren amerikanischen Sicherheitsberaters und Außenministers Henry Kissinger begegnen will, wonach ein vereintes Europa endlich »unter einer einzigen Telefonnummer erreichbar sein« müsse. Zwar gehörte der Brüsseler Kommission schon seit langem ein für Fragen der Außenpolitik zuständiges Kommissionsmitglied an – aber von nun an sollte angeblich sichergestellt werden, dass die Mitgliedsländer außenpolitisch eine nach außen einheitliche Position vertreten. Bestimmt für diese Aufgabe wurde jedoch nicht etwa ein erfahrenes außenpolitisches Schwergewicht, sondern eben die bis dahin weithin unbekannte britische Labour-Politikerin Catherine Ashton. Zwar ist ihr das mit Sicherheit nicht persönlich zur Last zu legen, doch die Folgen sind jeden Tag zu bewundern. Ein handfestes Beispiel dafür bietet das Fehlen einer durchdachten europäischen Politik für die Zukunft von Balkanstaaten wie Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Montenegro, um die sich offensichtlich niemand mehr ernsthaft kümmert, nachdem sich die Aufmerksamkeit der Staats- und Regierungschefs auf die (vermeintlich) wichtigeren Dinge konzentriert – und natürlich weit schlimmer noch die schreckliche Entwicklung in Syrien, zu deren Beendigung die Europäer nichts anderes beigetragen haben als wohlklingende Mahnungen.
Es gibt nur eine einzige Erklärung für diese kaum noch zu überbietenden organisatorischen Skurrilitäten: Man meinte, der staunenden Öffentlichkeit vorgaukeln zu können, dass man sich nach schwerem innerem Ringen und mit staatsmännischem Mut entschlossen habe, zugunsten eines sich weiter vereinigenden Europa auf wesentliche Bestandteile der eigenen staatlichen Souveränität zu verzichten. Der Haken war leider nur, dass jeder, der sich nicht den eigenen Verstand durch die Sirenentöne der Mächtigen vernebeln ließ, das Spiel allzu leicht durchschauen konnte. Zum Schluss kam dabei nicht mehr heraus als ein weiterer Beitrag zum Prozess der ohnehin seit Jahren im Gang befindlichen Abnutzung der europäischen Glaubwürdigkeit.
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Das Chaos hängt untrennbar mit dem Vertrag von Lissabon zusammen. Weil man vor dem Hintergrund der gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden nicht mehr den Mut hatte, den Präsidenten der Kommission zugleich zum Vorsitzenden des »Europäischen Rats« der Staats- und Regierungschefs, also zu einem wahrhaften Präsidenten der Europäischen Union, zu machen, hat man sich – wie üblich – auf einen faulen Kompromiss geeinigt. Indem man zwar die Möglichkeit einer späteren Vereinigung beider Ämter in einer Person offenließ, wurde diese sogleich an eine einstimmige, also niemals ernsthaft zu erwartende Beschlussfassung ebendieses Europäischen Rats geknüpft. Inzwischen dürfte die Behandlung der großen europäischen Staatschuldenkrise durch die Staats- und Regierungschefs auch dem treuherzigsten Beobachter des Geschehens unmissverständlich klargemacht haben, dass die Europäische Kommission in Brüssel allenfalls die zweite Geige zu spielen hat, sobald wirklich grundlegende Fragen Europas auf der Tagesordnung stehen.
Der Vorgang ist symptomatisch. Gewiss ist die – an der Zukunft des Euro als der gemeinsamen Währung festgemachte – Staatschuldenkrise und der dadurch ausgelöste Zwang, in einer unvorstellbaren Größenordnung finanzielle Hilfsmaßnahmen zu vereinbaren und zu mobilisieren, wie eine Sintflut über die Europäer hereingebrochen. Niemandem ist vorzuwerfen, dass zunächst alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein musste, den Zusammenbruch des gesamten Währungssystems und damit eine tödliche Katastrophe zu verhindern. Verschleiert wurde freilich auf diese Weise ein Mangel, der die Zukunft Europas, der seine
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