Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
politische, wirtschaftliche und kulturelle Behauptung in der sich globalisierenden Welt gleich in doppelter Hinsicht gefährdet: Keine oder keiner der verantwortlichen Staats- und Regierungschefs – an der Spitze die deutsche Bundeskanzlerin – hat bisher erkennen lassen, wie die politische Zukunft eines vereinten Europa aus ihrer Sicht konkret aussehen soll, und keine oder keiner von ihnen – eingeschlossen Angela Merkel – hat auch nur in Ansätzen die Fähigkeit erkennen lassen, eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Europas von einem solchen Konzept zu überzeugen. Übrig geblieben ist ein verbreitetes Gefühl, dass sich die verantwortliche politische Führung darin erschöpft, ebenso hektisch wie ratlos dem Treiben der sogenannten »Märkte« hinterherzulaufen – was zudem nicht nur zutrifft, sondern einem fast schon unglaublichen Skandal gleichkommt, wenn man sich vor Augen hält, dass sich hinter diesen »Märkten« in Wirklichkeit eine ganze Schar unverantwortlicher Lobbyisten und Spekulanten verbirgt.
Dagegen hilft nur eine Medizin: Die im Vorfeld des gescheiterten Lissabonner Vertrags schon weit vorangebrachte Diskussion über die Strukturen einer künftigen europäischen Verfassung muss dringend wiederaufgenommen werden. Ohne einvernehmliche Klärung der damit aufgeworfenen Fragen durch die Staaten, die ernsthaft an einer Weiterführung der europäischen Vereinigung interessiert sind, wird nicht zuletzt auch ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Vorschlag der luxemburgischen Kommissarin Viviane Reding nichts als eine schöne Illusion bleiben. Er lautet, noch vor dem Ende des laufenden Jahrzehnts eine »Europäische Politische Union« in die Tat umzusetzen. Unverzichtbar würde nämlich zweierlei dazugehören: die in Sonntagsreden immer wieder gern beschworenen »Stärkung« des europäischen Parlaments und der Mut, die bisherige »Europäische Kommission« – in Abgrenzung von der künftigen Rolle des »Rats der Staats- und Regierungschefs« – zu einer echten europäischen Regierung auszubauen. In ähnliche Richtung geht eine Initiative, mit der unser derzeitiger Außenminister versucht hat, eine Spur von Aufmerksamkeit für sein bisher so glückloses Wirken zurückzugewinnen.
Gewiss gibt es selbst für diese beiden Probleme keine Patentlösungen. Umso dringender ist es freilich, sie nicht vor sich herzuschieben, indem man irgendwelche informellen Gremien damit beauftragt, geeignete Vorschläge zu erarbeiten. Ähnliches wurde schon früher versucht, indem man für diese Zwecke unter Vorsitz von Giscard d’Estaing eine Anzahl verdienter Persönlichkeiten damit beauftragte, den Abschluss des Lissabonner Vertrages vorzubereiten. Das Ergebnis war vorherzusehen, nachdem es die beteiligten Regierungen – und insbesondere die jeweiligen Staats- oder Regierungschefs – vermieden, diese Arbeiten mit ihrem eigenen Engagement zu unterstützen.
Die Erfahrungen mit dem Verlauf der europäischen Staatsschuldenkrise genau wie die zwischenzeitliche Entwicklung der weltweiten Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zwingen jetzt endgültig dazu, auf eine Wiederholung derartiger Ausfluchtmanöver zu verzichten. So spricht José Manuel Barroso vor dem Europäischen Parlament plötzlich von dem baldigen Umbau der EU in »eine Föderation von Nationalstaaten« (lässt dabei allerdings gnädig offen, ob sich dahinter mehr verbirgt als eine Wiederbelebung der lange zurückliegenden Vorstellungen von Jacques Delors). Wirklich spannend wird es da werden, zu verfolgen, welche konkreten Beschlüsse am Ende – und hoffentlich bald nach dem Erscheinen dieses Buchs! – auf die Vorschläge folgen, die im Oktober 2012 unter Vorsitz von Herman Van Rompuy durch Jean-Claude Juncker, José Manuel Barroso und den Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, vorgelegt worden (und offensichtlich zunächst einmal auf die üblichen Bedenken der deutschen Bundesregierung gestoßen) sind.
Der Mut und die Bereitschaft, sich als Ergebnis einer offenen Diskussion klar und deutlich zu den europäischen Zielen zu bekennen, für die man einsteht, muss jedenfalls zum wichtigsten Kriterium für die Qualifizierung aller Parteien und ihrer Führungspersönlichkeiten werden, die sich künftig demokratischen Wahlentscheidungen zu stellen haben.
Für mich kann es nicht die Spur eines Zweifels geben, dass die bisherige »Europäische Kommission« sowohl hinsichtlich ihrer Aufgaben als auch ihrer Struktur und ihrer Zusammensetzung
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