Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Meinungskampfes in der breiten Öffentlichkeit umzupolen (…) (Es) wäre zu erwarten, dass die Politiker endlich – ohne Wenn und Aber – die europäischen Karten auf den Tisch legen und die Bevölkerung offensiv über (…) die historische Bedeutung des europäischen Projektes aufklären. Sie müssten ihre Angst vor demoskopischen Stimmungslagen überwinden.« Und er fährt fort: »In dieser Hinsicht ist der Test lehrreich, dem sich die Europäische Union derzeit unterziehen muss. Getestet werden nämlich der Wille und die Fähigkeit der Bürger, der politischen Eliten und der Massenmedien, wenigstens in der Eurozone den nächsten Integrationsschritt zu vollziehen.«
Drastischer noch klingt es bei Enzensberger (in seinem Buch Sanftes Monster Brüssel ): »Das sogenannte ›demokratische Defizit‹ gilt als eine chronische und (…) schwer zu behandelnde Mangelkrankheit (…) Dabei kann von einem medizinischen Rätsel keine Rede sein; es handelt sich vielmehr um eine durchaus beabsichtigte Grundsatzentscheidung. Als hätte es die Verfassungskämpfe des 19. und 20. Jahrhunderts nie gegeben, haben sich Ministerrat und Kommission schon bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft darauf geeinigt, dass die Bevölkerung bei ihren Beschlüssen nichts mitzureden hat (…) Die Europäische Union weiß alles besser als wir. Damit ist sie zwar der bisher kühnste, aber durchaus nicht der einzige Versuch, eine so ureuropäische Erfindung wie die Demokratie hinter sich zu lassen (…).«
Nun ja. Das ist alles richtig. Und doch schwingt darin ein wenig jenes eher weltfremde Wortgeklingel mit, das regekmäßig anklingt, sobald man unter gleichrangigen intellektuellen Schwergewichten versucht, sich beim Wettstreit um den Siegespreis für herausragende Brillanz zu überbieten. Denn einerseits wacht – zum Ärger mancher politischer Lehrmeister – vor allem in Deutschland das Bundesverfassungsgericht darüber, dass die im Grundgesetz festgeschriebenen demokratischen Mitwirkungsrechte des Volkes penibel beachtet werden – und zum anderen gibt es spätestens seit den Verträgen von Maastricht (1992) und Nizza (2001) durchaus die Möglichkeit, die europäische Vereinigung nach dem Modell der »zwei Geschwindigkeiten« voranzubringen. Es besagt, dass sich zunächst mindestens neun Mitgliedsländer auf konkrete Schritte zur weiteren Zusammenführung grundlegender politischer Entscheidungsbefugnisse einigen müssen, während die restlichen Staaten davon lediglich zustimmend Kenntnis nehmen und sich damit die Möglichkeit offenhalten können, zu einem späteren Zeitpunkt nachzufolgen. Dieses Vorgehen trägt die schöne Bezeichnung »Verstärkte Zusammenarbeit« – und schließt selbstverständlich die vorherige Befragung der jeweils demokratisch legitimierten Institutionen der sich beteiligenden Länder (sprich: der Parlamente) ein, sobald dies aufgrund der nationalen Gesetze angesagt ist.
Da es die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeit der bestehenden europäischen Institutionen nicht infrage stellen (also auch nicht ausweiten) darf, erfüllt ein solches Vorgehen freilich bei weitem noch nicht die Voraussetzungen dafür, den Vereinigungsprozess auch tatsächlich mit »zwei Geschwindigkeiten« formal voranzutreiben – doch die auf dieser Grundlage im Sommer 2012 gegen das Votum von Großbritannien, Schweden und der Niederlande in die Wege geleitete (allerdings bisher nur in Frankreich tatsächlich beschlossene) Einführung einer Finanztransaktionssteuer weist bereits beispielhaft aus, dass auf diese Weise durchaus Fakten geschaffen werden können, die binnen kurzem dazu führen werden, dass das wirtschaftliche – und damit letzten Endes auch das politische – Wohl und Wehe der sich beteiligenden Länder noch weit enger als zuvor miteinander verknüpft wird.
Über lange Zeit war es die deutsche Bundeskanzlerin, die sich mit dem ihr eigenen Starrsinn selbst gegen die zartesten Versuche quergelegt hat, eine solche »verstärkte Zusammenarbeit« zustande zu bringen. Immer wieder hat sie befürchtet, dass damit ein Graben zwischen den jeweils teilnehmenden Nationen und den übrigen Mitgliedsländern geschaffen werden könnte. Jacques Delors hat das (lange nach dem Ende seiner Amtszeit) im Herbst 2011 mit deutlichen Worten kommentiert: »Es (ist) zwingend notwendig, dass es einigen Staaten, die weiter gehen wollen, erlaubt ist (…), ohne dass sie von den anderen daran gehindert werden (…). Frau Merkel mag die
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