Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
hinüberschauen.
Irmi traten die Tränen in die Augen. Sie wünschte sich brennend, mit Amelie tauschen zu können.
Carola
W
ir kommen im Grab zur Ruh, doch Gott ruft uns ins helle Licht.« Carola klappte Mund und Chorheft zu. Langsam leerte sich die Kirche. Sie war bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, hinter den Stuhlreihen hatten sogar noch Menschen gestanden.
Der Chor ging als Letzter durch das Portal, Herr Hagen in seiner Funktion als Küster schloss, wichtigtuerisch wie immer, hinter ihnen zu. Herr Hagen war Kirchenchorleiter, Posaunenchordirigent und Küster in Personalunion. Er hielt sich für das Herz und die Seele der Gemeinde. Und Frau Hagen betrachtete das Gemeindezentrum als ihr zweites Zuhause. Die Trockenblumengestecke und bestickten Altardecken gingen alle auf ihr Konto. Eine gewisse Ähnlichkeit des Gemeindezentrums mit dem Hagen’schen Wohnzimmer war leider nicht zu leugnen.
Carola klappte fröstelnd den Mantelkragen hoch, bevor sie der Menschenmenge zum Friedhof folgte. Rechtzeitig zur Beerdigung war das Wetter umgeschlagen, von herbstlich klar in düster verregnet. Die Bäume hatten auf einen Schlag ihre leuchtenden Blätter abgeworfen, die nun als nasse Haufen über die Straße trieben und die Gullis verstopften. Martin trat an Carolas Seite und hielt seinen Regenschirm über sie.
»Schön hat er das gemacht«, sagte er und meinte denneuen Pfarrer. »Dafür, dass er Robert ja gar nicht gekannt hat.«
»Ja.« Carola starrte auf die vielen schwarzen Rücken vor sich. Ganz Jahnsberg war zu Roberts Beerdigung erschienen, der Golfclub, der Tennisclub, der Ortsverband der SPD, dem Robert eine Weile lang vorgestanden hatte, darunter drei ehemalige Bürgermeister, Verwandte, Arbeitskollegen – Carola hoffte, dass sie ausreichend Geschirr im Gemeindezentrum bereitgestellt hatten, in dem anschließend das Reuessen stattfinden sollte.
Die Beerdigungszeremonie war kurz, wegen des Regens vielleicht noch kürzer als geplant. Amelie und Louisa standen neben dem Grab, schüttelten Hände und ließen sich küssen und umarmen. Sie waren beide bleich und ungeschminkt, wie Carola registrierte, sehr vernünftig, denn niemand hatte in einer solchen Situation auch noch die Nerven, sich über zerlaufene Wimperntusche Sorgen zu machen. Louisa weinte allerdings nicht. Carola erinnerte sich, dass sie bei der Beerdigung ihrer Mutter auch nicht hatte weinen können. Sie hatte vielmehr lächelnd Hände geschüttelt und sich bemüht, den sogenannten Trauergästen die Verlegenheit zu nehmen. Wenn man jung war, neigte man dazu, seine eigenen Gefühle hintenanzustellen.
Neben den beiden Frauen wirkte die gesunde, sonnengebräunte Gesichtsfarbe von Pfarrer Hoffmann merkwürdig unpassend. Carola fand ihn ungeheuer attraktiv. Er war der Typ Mann, in dessen Gegenwart man sich unwillkürlich fragte, ob die Frisur noch saß oder ob man nicht besser etwas anderes angezogen hätte.
Und dann strahlte er diese beeindruckende Autoritätaus, gepaart mit einem berückenden Charme. Es war ein Wunder, dass er noch Junggeselle war.
Carolas Blick schweifte über die schwarzen Mäntel der Trauergäste. Gedankenverloren begann sie zu zählen, in wie vielen der Mäntel eine unverheiratete Frau steckte. Lange würde der gute Mann hier sicher kein Junggeselle bleiben.
»Arme Irmi«, wisperte Martin neben ihr. Carola blickte wieder nach vorne. Irmi Quirrenberg weinte dort gerade so heftig, dass Pfarrer Hoffmann ihr sein Taschentuch reichte und beruhigend ihren Arm tätschelte.
Nicht ungeschickt, dachte Carola. Sogar der unscheinbaren, verhuschten Irmi war der Sexappeal des Pfarrers offenbar nicht entgangen. Und sie verstand es durchaus, sich seine Aufmerksamkeit zu sichern. Jetzt tupfte er ihr sogar die Tränen von den Wangen! Irmis Ehemann Georg saß derweil scheinbar unbeteiligt im Rollstuhl. Sein schwarzer Trenchcoat war bereits völlig durchnässt.
»Der arme Georg«, murmelte Carola erbost. »Irmi sollte ihn besser ins Trockene bringen, anstatt sich trösten zu lassen, als sei sie die Witwe.«
Martin antwortete nicht.
»Da ist auch Doktor Sonntag«, sagte er leise.
»Er spielt mit Schneiders Golf«, gab Carola ebenso leise zurück. »Und er hat den Totenschein ausgestellt.« Ihr Flüstern wurde dringlich: »Ich möchte nicht, dass du es ihm sagst, Martin, hörst du?«
»Was sagen?«, fragte Martin, und Carola fuhr ihn scharf an: »Du weißt genau, was.«
»Ach so, das.« Martin machte eine Pause. »Aber das ist doch
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