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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Siechtum von meinem lieben Josephgotthabihnselig denke …«
    Und Thunfisch hat sie auch gegessen, dachte Amelie.Sie wollte nicht daran denken, wie Roberts Tod gewesen sein mochte. Sobald sie daran dachte, tat sich ein riesiges schwarzes Loch unter ihr auf, ein Ungeheuer, das sie zu verschlingen drohte.
    »Ich konnte ja schon fast froh sein, als unser gütiger Herrgott ihn endlich erlöst hat«, sagte Lenchen. »Aber dann kam die Einsamkeit … Du wirst es erleben, Amelie, du wirst es erleben.«
    Amelie sah Lenchens Gesicht nur verschwommen, sie hatte das Gefühl, seit Tagen nicht klar gesehen zu haben. Daran waren die Tränen schuld, die unermüdlich aus ihr herausflossen. So lange sie denken konnte, war es ihr ein Gräuel gewesen, vor anderen zu heulen. Es gehörte sich einfach nicht. Auch Robert hatte sie niemals weinen sehen, nicht mal damals, als Louisa wegen Hirnhautentzündung im Krankenhaus lag. Tränen waren etwas für Menschen, die aufgegeben hatten, die sich hängenließen. Amelie war eigentlich immer der Typ gewesen, der kalt duschte und die Ärmel hochkrempelte.
    Aber jetzt weinte sie seit fünf Tagen beinahe ununterbrochen. Sobald sich ihr jemand näherte und ein freundliches Wort an sie richtete, begannen die Tränen zu fließen.
    Und das Merkwürdige daran war, dass sie sich nicht mal schlecht dabei fühlte. Im Gegenteil, wenn sie weinte, hatte sie das Gefühl, das einzig Richtige zu tun.
    Was sollen wir denn in die Anzeige schreiben, Mama? Welchen Sarg wünschen Sie sich, Frau Schneider? Welche Lieder soll der Chor singen, Amelie? Wo ist Papas Adressbuch, Mama? Hast du schon der Versicherung Bescheid gesagt, Amelie? Was geschieht mit Roberts Golfausrüstung,Amelie? Wer holt den Firmenwagen ab, Frau Schneider?
    Solange sie weinte, erwartete niemand eine Antwort von ihr, und das schwarze Ungeheuer verhielt sich ruhig.
    Es ging ja auch ohne ihre Mithilfe. Alle waren wirklich unwahrscheinlich hilfsbereit. Man musste sich nur den Tisch voll Kuchen und Torten anschauen, den sie zusammengetragen hatten. Hinter Lenchens verschwommener Gestalt standen sie aufgereiht, Platten mit Aprikosenkuchen, Donauwellen, Schwarzwälderkirschtorte, Frankfurter Kranz und Rehrücken. Backen konnten sie, die Jahnsberger Frauen, das stand außer Frage. Normalerweise hätte Amelie sich mit Genuss durch alle Sorten probiert, aber seit fünf Tagen war eben nichts mehr normal. Heute Morgen hatte sie zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren unter siebzig Kilo gewogen. In so wenigen Tagen hatte sie geschafft, was ihr sonst durch wochenlangen Verzicht auf alles, was ihr schmeckte, nicht gelungen war. Ein seltsames Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt, als sie dort auf der Waage stand und auf ihren deutlich flacheren Bauch hinunterschaute. Der schwarze Strickrock – unentbehrliches Kleidungsstück für Beerdigungen und Kirchenkonzerte – war mindestens eine Nummer zu groß. Es war ein gutes Gefühl und ein trauriges zugleich. Wer würde sich denn jetzt noch darum scheren, wenn sie tatsächlich ihre mädchenhaften Hüften zurückerhalten würde? Robert war ja nicht mehr da, würde niemals wiederkommen …
    Nur nicht daran denken. Unter ihr gähnte der schwarze Abgrund, das Ungeheuer fletschte die Zähne. Amelie machte, was sie sonst nur im Kino bei einemtraurigen Film tat, wenn sie nicht weinen wollte: Sie begann zu zählen. Zuerst die Stühle, dann alle Frauen mit Dauerwellen. Es half. Das schwarze Ungeheuer zog sich in seine dunkle Höhle zurück und beobachtete sie von dort wachsam.
    Sie hörte auf zu weinen und betrachtete Lenchen Klein mit zusammengekniffenen Augen, wodurch das Bild schärfer wurde. Das Bild einer einsamen, ältlichen Witwe, eine kleine pummelige Frau mit Falten, grauen Haaren und – Amelie konnte wieder ganz klar sehen – ein paar dunklen Bartstoppeln am Kinn. So war das: Man wurde älter, die Augen wurden schlechter, und es war niemand mehr da, der sich traute, einen auf Bartstoppeln oder Mundgeruch aufmerksam zu machen. Und seinen Thunfischsalat mit Zwiebeln musste man ganz allein essen oder allenfalls mit dem Hund teilen.
    »Es wird von Jahr zu Jahr nur schlimmer«, sagte Lenchen.
    So sieht also ein Mund aus, der vier Jahre nicht geküsst worden ist, dachte Amelie und fuhr sich unwillkürlich über die eigenen Lippen.
    »Haben Sie gesehen? Jemand hat den Zigarettenautomaten an der Ecke aufgebrochen.« Das war Frau Hagen, die mit einem Teller voller Kuchen an ihre Seite getreten war und Lenchen Klein samt

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