Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
eigenhändig weiß gestrichen hatte. Heulend.
»Was für eine Verschwendung«, hörte sie Amelies Bruder Harry zu Exbürgermeister Gerber sagen. Wenn sie’s nicht besser gewusst hätte, hätte sie geglaubt, er spräche von ihr. Aber nein: »Roberts Organe waren doch noch tipptopp in Ordnung, außer dem Herzen natürlich. Eine Schande, das alles zu begraben. Ich habeeinen Organspendeausweis, damit das mit mir nicht passieren kann.«
Frau Hagen watschelte beiseite und gab den Blick auf das offene Grab frei. Carola schaute ein paar Sekunden auf den Sarg hinab und versuchte, sich zu sammeln. Frieden ins Herz strömen lassen, hatte der alte Pfarrer Seltsam das genannt. Es gelang ihr nicht.
»Leb wohl, Robert, auf Wiedersehen im Jenseits«, flüsterte Martin neben ihr gut vernehmbar. »Sicher haben sie da oben nur auf einen vierten Mann zum Doppelkopfspielen gewartet.«
Carola spürte die Schamröte in ihre Wangen steigen. Warum benahm sich Martin nur immer so übertrieben sentimental? Es fehlte nur noch, dass er Robert ein abgegriffenes Kartenspiel ins Grab warf und ihn »Alter Knabe« nannte.
Sie drehte sich peinlich berührt um.
»Carola, Martin, danke, dass ihr gekommen seid«, schluchzte Amelie. »Ach, alle sind so lieb zu mir.«
Martin schüttelte Amelie und Louisa und – ehe Carola es verhindern konnte – auch Pfarrer Hoffmann die Hand.
»Sie sind also der Gatte meiner eifrigen Gemeindehelferin hier«, sagte der Pfarrer, der das offenbar nicht unpassend fand. Das Timbre seiner Stimme verursachte wie üblich ein angenehmes Kribbeln in Carolas Magen. »Sie sind mir im Chor aufgefallen.«
»Kein Wunder«, sagte Martin. »Wir sind ja auch nur vier Männer. Ähm, drei, meine ich. Robert kann ja nun leider nicht mehr mitsingen.«
Carola hätte ihm gern einen heftigen Rippenstoß versetzt für sein dümmliches Gerede. Der Pfarrer mussteihn für einen Trottel halten, und sie wollte nicht, dass er glaubte, sie sei mit einem Trottel verheiratet.
»Unsere Dienstbesprechung morgen muss ich leider um eine Stunde verschieben«, sagte Pfarrer Hoffmann zu ihr, während Martin ein paar Worte mit Amelie und Louisa wechselte. »Und da ist ja eigentlich schon Mittagessenszeit.«
»Das macht mir nichts.« Carola hatte plötzlich eine Eingebung. »Wenn Sie wollen, halten wir die Dienstbesprechung bei mir in der Küche ab, dann bekommen Sie gleich ein Mittagessen dazu.«
»Was für eine verlockende Idee«, sagte Pfarrer Hoffmann.
Das finde ich auch, dachte Carola.
Louisa nieste zweimal hintereinander.
»Gehen wir.« Pfarrer Hoffmann griff fürsorglich nach Amelies Arm. »Herr Hagen hat sicher schon die Kaffeemaschinen angeworfen.«
Die Beerdigung war vorüber.
Carola nahm Martin den Regenschirm ab. »Geh schon mal vor«, sagte sie und hielt den Regenschirm über Louisa und sich.
»Danke, aber ab einem bestimmten Punkt kann man einfach nicht mehr nässer werden«, sagte Louisa. »Ich habe nicht an einen Schirm gedacht. Nur daran, ob der Beerdigungsmann recht damit hatte, dass es keinen guten Eindruck macht, wenn Ehefrau und Tochter des Verstorbenen keinen Kranz niederlegen. Findest du das auch?«
»Blödsinn«, sagte Carola und zupfte ein blondes Haar von Louisas Mantel. »Das war eine schöne Idee mit den Spenden für die Mukoviszidose-Kinder, die haben wenigstenswas davon. Kränze wären bei dem Wetter im Nu verfault.«
»Der Gerber meinte, eine Spende an den SPD-Ortsverband wäre eher in Papas Sinne gewesen«, sagte Louisa.
»Blödsinn«, sagte Carola wieder. »Die wäre in Herr Gerbers Sinn gewesen, dein Vater hätte die Mukoviszidose-Kinder vorgezogen.«
»Der hätte nicht mal gewusst, was das ist«, sagte Louisa mit einem schwachen Lachen.
Amelie
U
nd es wird immer schlimmer, jedes Jahr«, sagte Helene, genannt Lenchen Klein, verschwörerisch und quetschte dabei Amelies Hand. Sie hatte, wie immer, ihren Hund mitgebracht, eine riesige Promenadenmischung mit traurigen Triefaugen, der brav zu ihren Füßen kauerte. »Auch wenn sie alle versuchen, dir einzureden, dass die Zeit alle Wunden heilt. Glaub ihnen nicht!«
Amelie nickte, während sie unauffällig versuchte, Lenchens schlechtem Atem auszuweichen. Heute kamen ihr die Menschen ständig so nahe, dass man riechen konnte, was sie am Vortag gegessen hatten. Bei Lenchen musste es irgendwas mit rohen Zwiebeln gewesen sein.
»Robert ist so einen schönen, schnellen Tod gestorben, da kannst du dankbar sein«, fuhr Lenchen fort. »Wenn ich da an das jahrelange
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