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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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lächerlich, Carola. Der Mann steht außerdem unter Schweigepflicht.«
    »Ich möchte nicht, dass es irgendjemand weiß«, zischte Carola.
    »Und wenn er danach fragt?«
    »Dann sagst du, du hättest es dir anders überlegt und wärst gar nicht hingegangen.«
    »Das wäre aber gelogen.«
    »Das weiß ich auch«, fauchte Carola so laut, dass Frau Hagen vor ihr sich umdrehte und sie neugierig anstarrte. Carola wusste, dass sie am liebsten »Können Sie das noch mal für mich wiederholen?« gesagt hätte, die Frau war von einer unerträglichen Neugier.
    »Haben Sie gesehen, dass jemand den Zigarettenautomaten an der Ecke aufgebrochen hat?«, fragte sie statt dessen. Selbst, wenn sie flüsterte, klang ihre Stimme noch unnatürlich hoch.
    Carola schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht, Frau Hagen.«
    »Aber gesehen müssen Sie’s doch haben. Albrecht sagt, es sieht aus wie in die Luft gesprengt.«
    »Ich hab’s nicht gesehen«, sagte Carola und faltete demonstrativ ihre Hände wie zum Gebet. Eine Weile starrte Frau Hagen sie noch an, dann drehte sie sich – sehr langsam – zurück zum Grab.
    Carola wartete, bis sie wieder nach vorne schaute, und griff nach Martins Arm. »Versprich mir, dass du Doktor Sonntag nichts sagst. Dass du’s niemandem sagst.«
    »Carola, ich verstehe nicht, wieso …« Martin seufzte. »Also gut, ich versprech’s.«
    Carola war überzeugt, dass er insgeheim erleichtert war, das Versprechen abgelegt zu haben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm schwerfiel, darüber zu schweigen. Es war einfach nichts, was man seinen Arbeitskollegenoder Freunden mal eben so mitteilte: »He, Jungs, wir haben’s ja die ganze Zeit geahnt, aber jetzt haben wir’s schwarz auf weiß, dass meine Spermien nichts taugen.«
    »Bei fünfzig Prozent aller ungewollt kinderlosen Paare gibt es keine organischen Ursachen«, hatte Doktor Sonntag ihnen in den letzten fünf Jahren immer wieder gesagt und von weitergehenden Untersuchungen abgeraten. »Sie müssen einfach Geduld und Vertrauen haben.«
    Carola warf einen zornigen Blick zu ihm hinüber. Geduld und Vertrauen – wie kann man das von einer fünfunddreißigjährigen Frau verlangen, die sich nichts sehnlicher wünscht als ein Kind? Sie hatte gewusst, dass es nicht an ihr lag, sie hatte sich vom Frauenarzt mehrfach gründlich durchchecken lassen. Jeden Monat die gleiche Enttäuschung und die stereotypen Erklärungen von Doktor Sonntag: der Druck, unter den sie sich setzten, Martins ständige Sorge, arbeitslos zu werden, das zunehmende Alter, und am Ende immer sein Ratschlag, Geduld und Vertrauen zu haben.
    Fünf Jahre mussten vergehen, bevor Doktor Sonntag eine Überweisung an den Andrologen schrieb. Fünf vergeudete Jahre. Carolas Vertrauen und ihre Geduld waren restlos erschöpft. Nie wieder würde sie einen Fuß in Doktor Sonntags Praxis setzen, ganz gleich, wie gut er ihre verdammte Gürtelrose behandelt hatte. Und Martin sollte gefälligst künftig in die Nachbargemeinde fahren, um sich die Schlaftabletten und Antidepressiva verschreiben zu lassen, die er brauchte, seit sich die Situation in seiner Firma so zugespitzt hatte.
    Jetzt, da sie wussten, dass ohnehin nichts mehr zu retten war, konnte er das Zeug auch ohne schlechtes Gewissenschlucken, überlegte Carola. Eimerweise. »Vorübergehende Impotenz«, als mögliche Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel beschrieben, war jedenfalls irrelevant geworden.
    »Harmlose Stimmungsaufheller« hatte Doktor Sonntag sie genannt. Carola dachte, dass ihr ein paar von diesen Pillen auch nichts schaden könnten. Der Facharzt hatte Martin jede Hoffnung auf ein eigenes Kind genommen.
    »Sie sollten über künstliche Befruchtung oder Adoption nachdenken«, hatte er gesagt, aber Carola wollte nicht darüber nachdenken. Vor fünf Jahren, ja, vielleicht hätte sie darüber nachgedacht, aber jetzt … Nein. Es war, als habe Martin sie all die Jahre hintergangen. Sie wollte sich nicht seinetwegen auf einen Behandlungsstuhl legen und sich das Sperma eines anonymen Studenten in die Gebärmutter spritzen lassen, während er womöglich daneben saß und ihre Hand hielt. Und sie wollte auch nicht mit ihm vor einem Sozialarbeiter vom Jugendamt sitzen und beweisen, was für gute Eltern sie doch wären.
    Es war auch so schon schlimm genug. Sie hatte Martin gezwungen, die Tapete mit den hellblauen Blockstreifen und der Teddybärbordüre im leeren Zimmer im Dachgeschoss zu entfernen und durch eine einfache Raufaser zu ersetzen, die sie

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