Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Da musst du dir doch über so einen ungeborenen Wurm nicht auch noch den Kopf zerbrechen. Oder ist das bei dir mehr eine Grundsatzfrage? Sekunde mal, merk dir, was du sagen wolltest, ja?«
»Grundsatzfrage? Spinnst du?« Ich hörte, wie Andi im Hintergrund mit jemandem sprach. Vermutlich mit einem seiner künftigen Untergebenen. Ich konnte es nicht fassen, dass er das Thema für abgeschlossen hielt, ohne wenigstens das Für und Wider zu erwägen. Das sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich.
»Herzchen? Da bin ich wieder. Sieht so aus, als wäre meine Mittagspause schon wieder beendet.« Er lachte.»So ist das eben, wenn man ins Topmanagement vorrücken will. Ich ruf dich heute Abend noch mal an, ja? Und von mir aus reden wir dann auch über die Gluck und ihr Baby.«
Allmählich begriff ich, dass wir uns irgendwo missverstanden hatten.
»Ich wollte nicht über das Baby von der Gluck reden, sondern über unser … befruchtetes Ei«, stellte ich klar.
»Wie bitte?« Völlige Verwirrung am anderen Ende der Leitung.
Langsam verlor ich die Geduld. »Ach, Andi, du hast ja wohl den Schwangerschaftstest in der Frikadelle gefunden, oder willst du mir vielleicht erzählen, dass du ihn aus Versehen mitgegessen hast?«
Andi schwieg. Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann fragte ich: »Bist du noch da?«
»Das war also ein Schwangerschaftstest «, sagte Andi. Seine Stimme klang, als würde ihm jemand die Kehle zudrücken.
»Was hast du denn gedacht?«
»Ich … also, keine Ahnung. Ich hatte so was noch nie gesehen. Ich dachte, es sollte ein Witz sein.«
»Ja, klar! Ich Spaßvogel fand das so komisch, da habe ich dir den Schwangerschaftstest ins Abendessen gesteckt, damit wir beide mal wieder lachen können.«
»War er … positiv? «, fragte Andi und gab sich die Antwort gleich darauf selber: »Natürlich war er das, natürlich.« Wieder entstand eine Pause. »Aber du nimmst doch die Pille!«
»Ja.« Bis auf dieses eine einzige Mal. »Aber es passiert eben auch manchmal trotz Pille. Ach, Andi, ich weißeinfach nicht, was ich tun soll. Ich weiß, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, aber …«
»Allerdings! Das hat uns gerade noch gefehlt! Wann kommst du zurück nach Berlin?«
»Das weiß ich nicht. Im Augenblick möchte ich meine Mutter noch nicht allein lassen. Es gibt noch so viel zu regeln, und sie kann sich zur Zeit zu nichts aufraffen.«
»Deine Mutter ist alt genug, um für sich selber zu sorgen. Du hast weiß Gott eigene Probleme, um die du dich kümmern musst. Ich habe keine Ahnung von diesen Dingen, aber ganz sicher darfst du keine Zeit verlieren, um das in Ordnung zu bringen. Warte mal eine Sekunde, ich bin gleich wieder da.«
Ich hörte, wie er im Hintergrund wieder mit jemandem sprach, und rieb mir müde die Augen. In Ordnung bringen – was für eine schöne Umschreibung für: Du musst zum Frauenarzt und zur Schwangerschaftsberatung und dann schleunigst in eine Klinik, wo sie dir die Gebärmutter ausschaben.
Der Gedanke daran war entsetzlich.
»Lou? Wir telefonieren heute Abend, ja? Es geht jetzt wirklich nicht.«
»Hier klingelt auch gerade jemand an der Haustür. Bis heute Abend.« Ich legte den Hörer auf und kämpfte den Kloß in meiner Kehle nieder. In den letzten Tagen hatte ich darin wirklich Übung bekommen.
Mit einem starren Lächeln öffnete ich die Tür. Es war glücklicherweise nur der Postbote. Er brachte einen Stapel Briefe und wollte meine Unterschrift für ein Paket, das an meinen Vater adressiert war. Irgendein Zubehörteil für sein Rennrad.
»Blumen für mich?«, fragte meine Mutter, die beimKlingeln erwartungsvoll in den Flur gekommen war. Das mit den Blumen war eine berechtigte Frage, wir hatten in den letzten Tagen mehr Blumensträuße bekommen, als Vasen im Haus vorhanden waren. Mittlerweile waren auch alle Einmachgläser und Kaffeekannen belegt.
»Nein, Gott sei Dank nur Post.« Ich legte das Paket auf der Treppe ab – später würde ich mich um die Rücksendung kümmern – und reichte meiner Mutter die Briefe. Die meisten davon hatten einen schwarzen Rand und waren »An das Trauerhaus Schneider« adressiert. Meine Mutter riss sie mir förmlich aus der Hand und vertiefte sich umgehend in die Lektüre.
»Von unseren Wanderfreunden aus dem Allgäu«, sagte sie. »Sie schreiben, dass sie an mich denken und dass sie Robert sehr vermissen werden.«
Das schrieben eigentlich alle. Außerdem schickten sie kleine Büchlein, mit Titeln wie Der Sinn des Leidens und
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