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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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an.
    Aus irgendeinem Grund begann ihr Herz zu rasen. »Finden Sie? Nun ja, damals war ich noch jung. Noch keine vierzig.« Sie sah ihn herausfordernd an: »Dieses Jahr werde ich einundfünfzig.« Ah, das war besser als zählen. Amelie merkte, wie sich der schwarze Abgrund ein wenig schloss.
    »Einundfünfzig?«, rief der Pfarrer aus. »Nun, das glaubt Ihnen aber kein Mensch. Ich hätte Sie mindestens zehn bis fünfzehn Jahre jünger geschätzt.«
    »Ich bin vierundzwanzig«, sagte Louisa. »Was haben Sie denn gedacht, wann sie mich bekommen hat? Oderhätten Sie mich auch zehn bis fünfzehn Jahre jünger geschätzt?«
    Der Pfarrer hörte sie gar nicht. »Einundfünfzig! Und das sagen Sie so, als wären Sie hundert«, meinte er lächelnd.
    »Aber ich fühle mich wie hundert«, flüsterte Amelie, obwohl sie fand, dass einundfünfzig alt genug klang. Ihr Herz raste immer noch. Das konnte nur von dem vielen schwarzen Kaffee kommen, den sie auf nüchternen Magen in sich hineingeschüttet hatte. »Weil ich niemanden mehr habe, der mit mir alt werden wird, bin ich auf einen Schlag alt geworden. Ich verstehe jetzt, warum sie in Indien die Witwen gleich mitverbrennen.«
    »Meine liebe Amelie«, sagte Pfarrer Hoffmann und griff nach ihrer Hand. »Ich verstehe Sie ja, aber so etwas dürfen Sie nicht sagen. Es ist unserem lieben Herrn gegenüber unrecht.« Er drehte sich um. »Ich sage Ihnen, was alt ist. Sehen Sie diese Frau da?«
    Er zeigte auf Lenchen Klein. Amelie nickte gespannt. Louisa schaute ihn ebenfalls erwartungsvoll an. Amelie wünschte, sie würde gehen und sich um die anderen Gäste kümmern.
    »Ich habe sie gestern erst im Seniorenclub kennengelernt. Eine liebenswerte, gläubige Dame. Die ist alt – nicht Sie«, sagte Pfarrer Hoffmann.
    Louisa lachte laut auf. »Frau Klein ist keine Teilnehmerin des Seniorenclubs, sie leitet ihn, soviel ich weiß! Und sie ist mit meiner Mutter zur Schule gegangen, stimmt’s, Mama?«
    Pfarrer Hoffmann war nur kurz aus dem Konzept gebracht. »Da kann man mal sehen«, sagte er. »Ihnen hat der Herr eben eine wunderbare, ansteckende Jugendlichkeit geschenkt, die dieser Dame völlig fehlt.«
    Amelie seufzte. Verglichen mit Lenchen war sie wirklich jung, aber das lag nicht an der besseren Antifaltencreme. In Jahnsberg waren manche Frauen eben einfach schon mit dreißig uralt.
    »Aber jetzt müssen Sie auch etwas essen, Amelie, bitte, mir zuliebe«, sagte Pfarrer Hoffmann.
    »Ja«, stimmte Louisa zu und hielt ihr den Teller mit dem Frankfurter Kranz hin.
    »Vielleicht ein Stück Apfelkuchen«, bot Amelie an. Der Frankfurter Kranz war mit Buttercreme gemacht, ein Stück davon hatte mehr Kalorien, als sie in den letzten fünf Tagen zu sich genommen hatte.
    »Ich hol’s dir«, sagte Louisa und schob sich das Stück Frankfurter Kranz in den eigenen Mund.

Louisa
    W
ar’s sehr schlimm, Herzchen?«, erkundigte sich Andi am Telefon. Er rief jeden Tag in der Mittagspause vom Büro aus an, um zu fragen, wie es mir ging.
    »Ja.« Ich war ein bisschen enttäuscht, dass er nicht zur Beerdigung gekommen war. Er hatte versprochen, es »möglich zu machen«, aber es war ihm nicht gelungen. In seiner Abteilung ging es drunter und drüber, seit aus der eisern regierenden Frau Gluck eine hormongesteuerte Glucke geworden war. »Ich komme mir vor wie ein Roboter mit Superhirn, aber ohne jedes Gefühl. Alles wird von mir erledigt, entschieden, berechnet und organisiert, damit meine Mutter und alle anderen in Ruhe trauern können. Ich bin so etwas wie ein unbezahlter Trauermanager.«
    »Du Arme.« Andi lachte.
    »Das war kein Witz«, fuhr ich ihn an. »Weißt du, wie mir diese dummen Sprüche zum Hals raushängen? Deine arme Mutter braucht dich jetzt, Louisa, deiner armen Mutter geht es ja so schlecht, Louisa, was für ein entsetzlicher Verlust für deine arme Mutter, Louisa! Dass ich meinen Vater verloren habe, interessiert keine Sau! Der Trauermanager darf keine Gefühle zeigen. Trauern dürfen nur die anderen.« Ich holte tief Luft. »Und dann ist da noch … diese andere Sache. Wir haben noch gar nicht darüber geredet.«
    »Worüber denn, Herzchen?«
    »Über das Baby.« Ich stockte. Falsche Wortwahl. Das befruchtete Ei, hatte ich sagen wollen. Baby klang schon so endgültig.
    »Was gibt es denn darüber noch zu reden?« Andi klang erstaunt.
    »Wie bitte?« Ich traute meinen Ohren nicht. »Aber … wir müssen doch darüber reden!«
    »Lou, Herzchen. Du hast im Augenblick wirklich genug an der Backe.

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