Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Hund in den Hintergrund drängte. Amelie war überzeugt, dass Frau Hagen die Leute nicht absichtlich beiseiteschob, sondern einfach nur nicht begriff, wie umfangreich ihr Leib war.
»Welcher Zigarettenautomat?«, murmelte sie desinteressiert. Es war typisch für Frau Hagen, mit derartigen Oberflächlichkeiten anzukommen, ganz gleich, wie erhaben ein Augenblick auch sein mochte.
»Haben Sie schon meinen Kuchen probiert? Philadelphiasahnetorte, meine Spezialität.«
»Nein, danke.« Amelie dachte an die magische Zahl, die die Waage heute morgen angezeigt hatte. Unter siebzig. Die Philadelphiasahnekalorienbombe konnte wer anders essen, es waren ja weiß Gott genügend Leute da. Und wenn etwas übrig blieb, würde Frau Hagen sicher liebend gern ihre beiden Kinder damit mästen.
Louisa, mit Patti im Schlepptau, baute sich mit erbostem Gesichtsausdruck vor Amelie auf.
»Tante Patti hier möchte wissen, ob du noch Verwendung für Papas Armbanduhr hast, Mama.«
Amelie sah die beiden verwirrt an. »Roberts Armbanduhr?«
»Die Rolex«, sagte Patti. »Ich bin sicher, der Robert hätte gewollt, dass der Heiner sie bekommt.«
»Die Uhr ist von Cartier«, verbesserte Amelie und begann übergangslos zu weinen, weil sie sich daran erinnerte, dass sie ihm die Uhr zu seinem fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Das Ungeheuer steckte hoffnungsvoll den Kopf aus der Höhle. Nicht daran denken. Ablenken. Stühle zählen.
»Wenn es um die Rolex geht«, sagte Ella, die mit hängender Zunge herbeigeeilt kam, »dann möchte ich bitte darauf hinweisen, dass mein Peter eher ein Anrecht darauf hat. Ich war immer Roberts Lieblingsschwester.«
»Da lache ich aber«, widersprach Patti und stieß tatsächlich ein abgehacktes Lachen hervor. »Weißt du nicht mehr an Weihnachten, wo du ihm nichts von deinen Marzipankartoffeln abgeben wolltest? Das hat dir der Robert nie vergessen!«
»So war das gar nicht«, sagte Ella empört. »Der Robert hatte mir alle Marzipankartoffeln vom Teller geklaut und durch Nüsse ersetzt. Aber das hat ja wohl nichts mit der Uhr zu tun.«
»Hat es wohl«, widersprach Patti. »Weil ich ihm nämlich meine Marzipankartoffeln freiwillig gegeben habe.«
»Das war ja wohl kein Opfer, weil du Marzipan nicht ausstehen kannst!«, rief Ella aus. »Außerdem waren wir damals Kinder! Amelie, jetzt sag doch auch mal was.«
Amelie putzte sich lediglich geräuschvoll die Nase.
»Tja«, sagte Louisa zu ihren Tanten. »Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr die Totengräber vielleicht noch überreden, die Uhr wieder auszubuddeln. Und dann könnt ihr darum knobeln.«
Ella und Patti schauten entsetzt drein. »Ihr habt sie Robert angelassen? Aber die war mindestens fünftausend Mark wert.«
Amelie zuckte mit den Schultern und überließ es Louisa, mit Patti und Ella über Verschwendung im Allgemeinen und Besonderen zu diskutieren. Sie schaute hinab auf den Karton mit Roberts persönlichen Besitztümern aus seinem Büro, die ihr einer seiner Mitarbeiter vorhin überreicht hatte. Roberts Auszeichnungen, sein Füller, Papiere, gerahmte Fotografien. Obenauf lag ein Bild, das sie selber vor ungefähr zwölf Jahren zeigte. Es hatte auf Roberts Schreibtisch gestanden.
Amelie kamen wieder die Tränen, als sie sich betrachtete, mit geröteten Wangen und leicht verschwitzten Locken fröhlich in die Kamera lachend, die halbwüchsige Louisa im Arm.
»Sind Sie das auf dem Foto?« Neben ihr war der Pfarrer aufgetaucht. Er hatte sein Messgewand mit Freizeitkleidunggetauscht, er trug jetzt eine schwarze Hose und einen schwarzen Rollkragenpullover. Der würzige Duft seines Eau de Toilette, der Amelie in den letzten Tagen richtig vertraut geworden war, stieg ihr in die Nase.
Sie nickte. »Vor ewigen Zeiten auf einer Wandertour in den Alpen. Wir haben in einem eiskalten Gletscherbach gebadet und Waldbeeren gepflückt.« Hör auf!, rief sie sich selber zur Ordnung. Sie durfte nicht in diesen Erinnerungen schwelgen, wenn sie vor Kummer nicht wahnsinnig werden wollte. Dann lieber die Stühle zählen, die Torten, die Frauen mit Dauerwellen …
»Die Waldbeeren waren das einzig Gute an diesen Wanderungen«, sagte Louisa. Sie hielt Amelie einen Teller mit Frankfurter Kranz hin. »Hier, den magst du doch so gern.«
Amelie schüttelte den Kopf. »Ich kann jetzt nichts essen.« Sie hatte nicht weniger als elf Frauen mit Dauerwellen und Gebissen gezählt.
»Eine schöne Frau«, sagte Pfarrer Hoffmann, aber er sah dabei nicht das Bild, sondern Amelie
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