Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Wie Trauer uns weiterbringt.
»Nett.« Ich sah meine Mutter forschend an. Sie hatte zwar Tränen in den Augen, aber sie weinte nicht. Das ließ mich hoffen.
All die Jahre war meine Mutter für mich der Inbegriff von Robustheit, Beständigkeit und Selbstkontrolle gewesen. Sie war das, was man sich unter einem Fels in der Brandung vorstellt. Es hatte mich völlig fertiggemacht, sie mit diesem abwesenden Gesichtsausdruck zu sehen und den Tränen, die unaufhörlich aus ihren Augen quollen.
»Ich möchte, dass du mir hilfst, das Trainingsfahrrad vom Speicher zu holen«, sagte sie jetzt. »Ich muss etwas gegen diese Speckrollen unternehmen.«
Nach der tagelangen Heulerei wertete ich diesen Entschluss und ihre ungewohnte Aktivität äußerst positiv. Wir schleppten das Trainingsfahrrad ins Schlafzimmer vor das große Giebelfenster, und Mama setzte sich sogleich darauf und begann loszustrampeln.
Als ich vom Einkaufen zurückkam – unser Kühlschrank war gähnend leer, bis auf eine Dose Sprühsahne –, strampelte sie immer noch. Irgendwann dazwischen hatte sie allerdings ihren halben Kleiderschrank ausgeräumt. Auf Papas Seite des Bettes lagen haufenweise Klamotten.
»Schwarz macht alt«, erklärte sie, als sie meinen Blick sah. »Ich werde nicht herumlaufen wie diese Krähe Lenchen Klein.«
»Natürlich nicht«, sagte ich und schielte auf das Display. Vierzehn Kilometer – nicht schlecht.
Mama hatte das Fenster weit geöffnet, beim Atmen bildeten sich weiße Wölkchen. Man hatte von hier aus einen wunderbaren Blick über die Nachbargärten. Bei Heinzelmanns hingen rote Äpfel im kahlen Geäst, bei Quirrenbergs blühten die Astern, als wär’s noch Sommer. Frau Quirrenberg stand an ihrem Komposthaufen und kratzte Essensreste aus einem Topf. Das erinnerte mich daran, schon länger nichts Anständiges zu mir genommen zu haben.
»Ich habe Hähnchenbrust mitgebracht«, sagte ich hungrig. »Wie wär’s mit deiner berühmten Reispfanne zum Mittagessen?«
»Mach, was du willst«, keuchte meine Mutter. »Aber mach die Küche anschließend wieder sauber.«
Ich hatte eigentlich gedacht, dass sie die Reispfanne zubereiten würde, schließlich war es ihre Spezialität.Aber gut, dann würde eben ich kochen und sie mit dem Duft kross gebratenen Fleisches in die Küche locken.
»Findest du, dass sie jünger aussieht als ich?«
»Wer?«
»Na, Irmi.« Meine Mutter wies auf Frau Quirrenberg am Komposthaufen.
»Sie ist ein klassischer Fall für die Vorher-Nachher-Show«, sagte ich. »Man möchte ihr diese traurig gemusterten Blusen und Bundfaltenhosen vom Leib reißen und sie zum Friseur schicken.«
»Sie ist zehn Jahre jünger als ich«, sagte Mama. »Sieht man das?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Kann man auf diese Entfernung schlecht sagen.«
Mama warf mir einen unzufriedenen Blick zu und trat schneller in die Pedale.
Zum späten Mittagessen – es war mittlerweile halb drei – erschien sie frisch geduscht und frisiert, einen Hauch Rosa auf den Lippen. Na also.
»So gefällst du mir schon besser«, sagte ich.
»Das ist nur äußerlich«, stellte sie klar. Wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, weinte sie ein bisschen, als ihr Blick auf eine Tasse mit der Aufschrift Robert fiel.
Von meiner Reispfanne aß sie nur zwei mikroskopisch kleine Happen. Ich aß den ganzen Rest.
»Der Garten sieht katastrophal aus«, sagte meine Mutter nach dem Essen. »Jemand müsste das Laub zusammenrechen.«
»Mach ich gerne«, erbot ich mich. Ich wusste, dass meine Mutter Gartenarbeit nicht mochte. Mein Vater hatte auch immer nur das Nötigste gemacht, dementsprechendsah der Garten auch aus. »Wenn du uns zum Abendessen Apfelpfannkuchen backst.«
Mama seufzte. »Kannst du an nichts anderes denken als an Essen?«
»Nein.« Ich sah aus dem Küchenfenster und holte tief Luft. Ich sehnte mich danach, mit jemandem über meinen Zustand zu sprechen, und jetzt, nachdem meine Mutter mit dem Dauerweinen aufgehört hatte, schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein. »Ich muss dir was sagen, Mama. Etwas Schlimmes.« Weiter kam ich nicht. Ein silberner BMW mit dezent tiefergelegten Reifen bog in unsere Einfahrt ein. Meine Mutter sah es auch.
»Pünktlich auf die Minute«, sagte sie. »Wir reden später weiter, ja?«
»Der Pfarrer?«, rief ich aus. »Was will der denn jetzt noch hier? Die Beerdigung ist doch vorbei.«
»Er ist Seelsorger, er sieht es als seine Aufgabe, uns in dieser schweren Zeit beizustehen«, sagte meine
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