Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Mutter. »Er hat gesagt, die schlimmste Zeit steht uns erst noch bevor.« Prompt quollen wieder ein paar Tränen aus ihren Augen. »Und ich bin dankbar für jede Hilfe.«
»Hm, ja, er könnte zum Beispiel bei der Versicherungsgesellschaft anrufen und denen wegen der Police Dampf machen. Oder dir mal in aller Ruhe erklären, wie man den Videorekorder programmiert. Und wir brauchen jemanden, der den Schlagladen an der Esszimmertür repariert.«
»Herr Hoffmann ist kein Schreiner, er ist Pfarrer.« Mama putzte sich die Nase. »Wegen der Fensterläden frage ich Herrn Hagen, zu irgendwas muss dieser Mann ja gut sein, und um die Versicherung musst du dich kümmern. Sieht man, dass ich geweint habe?«
»Aber ja«, beruhigte ich sie. »Sogar die Wimperntusche ist verlaufen.«
Meine Mutter griff hektisch nach einem frischen Taschentuch.
Ich öffnete Pfarrer Hoffmann die Tür. Er brachte eine Wolke von Wohlgeruch mit sich, die mir für eine Sekunde den Atem nahm.
»Wie geht’s?«, erkundigte er sich freundlich, während er seinen Mantel auszog und ihn mir wie selbstverständlich in den Arm legte. Noch während ich über eine Antwort nachdachte – schließlich war das eine komplexe Frage –, ließ er mich stehen. »Ist sie im Wohnzimmer?«
»Wenn Sie meine Mutter meinen, die ist in der Küche«, antwortete ich ein wenig schnippisch. Es kränkte mich allmählich, dass alle so taten, als wäre einzig und allein meine Mutter von diesem Ereignis betroffen. Ich war hier nicht bloß die Garderobiere, auch um meine Seele musste man sich sorgen!
Lieblos warf ich den Mantel über den Heizkörper.
»Sie sehen ja fantastisch aus«, rief der Pfarrer aus, als er meiner Mutter ansichtig wurde. »Hellblau steht ihnen ganz wunderbar.«
Mama zupfte an ihrem Twinset aus reinem Kaschmir (ein Geschenk von Papa und mir zu ihrem letzten Geburtstag) und schaute auf den Boden. »Ach, ich hab einfach irgendwas aus dem Schrank gegriffen und angezogen.«
Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Statt dessen entfuhr mir nur ein heiserer Huster.
»Louisa wollte gerade in den Garten gehen«, sagte meine Mutter.
Wollte ich? Gut, dann also ab in den Garten. Ichglaubte ohnehin nicht, dass Pfarrer Hoffmann mir Seelsorge angedeihen lassen wollte.
»Louisa mag Gartenarbeit, das hat sie von ihrem Opa«, sagte meine Mutter. »Das Grundstück war ein Mustergarten, als er noch lebte.«
»Wie schön, etwas mit den Händen tun zu dürfen«, erwiderte Pfarrer Hoffmann, und ein Lächeln legte seine Augenpartie in dekorative Falten. »Ich als geistig und geistlich arbeitender Mensch habe leider nie etwas dafür übrig gehabt. Obwohl Gartenarbeit ja jung halten soll.«
»Dann ist es ja genau das Richtige für meine alten müden Knochen«, sagte ich.
Niemand lachte.
»Du kannst meine Gummistiefel haben, Louisa«, sagte meine Mutter. »Möchten Sie einen Kaffee?«
Das Grundstück war riesig, und deshalb nutzten meine Eltern auch nur den vorderen Teil als Garten, wenn man denn einen Rasen (mehr Moos als Gras), eine Hecke aus heimischen Blütensträuchern, eine Gruppe von Birken und eine kümmerliche Blumenrabatte als Garten bezeichnen wollte. Der hintere und größte Abschnitt des Grundstückes verwilderte, von einer Hecke vor Blicken geschützt – aus den Augen, aus dem Sinn, mussten meine Eltern sich gedacht haben –, seit Jahren vor sich hin. Als das Haus noch meinen Großeltern gehörte, war der Garten bis auf den allerletzten Quadratmeter genutzt worden. Üppige Staudenbeete, akkurat beschnittene Obstbäume und Gemüse in schnurgeraden Reihen.Ganz hinten am Zaun, der die Jungstiere von Bauer Bosbach daran hinderte, Opas Bohnenstangen umzurennen, hatten Johannisbeerbüsche gestanden, die ich als kleines Mädchen hatte abernten dürfen. Wahrscheinlich benötigte man heutzutage eine Machete, um bis dorthin vorzudringen.
Ich hatte das Laub der Birken zusammengerecht, ebenso die Blätter, die von der Kastanie zu uns hinübergeweht waren. Wanja hatte mir dabei Gesellschaft geleistet. Er kam langsam in die Jahre, das merkte man daran, dass er sich nicht mehr auf die Blätter stürzte, als wären es Schmetterlinge. Er hatte auch schon ewig keine Elster mehr durch die Katzentür geschleppt und im Wohnzimmer fliegen lassen.
Da der Wagen des Pfarrers immer noch in der Einfahrt stand, als ich die letzte Fuhre Laub zum Komposthaufen brachte, beschloss ich, die verdorrten Stauden der Rabatte neben der Terrasse zu beschneiden. In der Garage fand sich aber leider
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