Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Fußboden bestünde aus weicher Watte. Mühelos konnte sie durch ihren Alltag fliegen, völlig entspannt den Haushalt erledigen, alles machte Spaß, sogar das Fensterputzen. Selbst Georgs Gemeinheiten, die sich täglich zu steigern schienen, konnten sie nicht aus ihrem Schwebezustand holen. Irmi wusste, dass sie Georg gegenüber eigentlich ein schlechtes Gewissen hätte haben müssen, aber die Schuldgefühle wollten sich einfach nicht einstellen. Da war nur dieses herrliche Gefühl von Losgelöstsein und Unverletzbarkeit.
»Du bist wie ein kleines Vögelchen, das aus dem Nest gefallen ist«, hatte Benedikt letzte Nacht zu ihr gesagt, und sie hatte voller Dankbarkeit und aus tiefstem Herzen erwidert: »Aber du lehrst mich das Fliegen!«
Nur selten gelang es ihr, ebenso poetische Sätze zu sagen wie er. Meistens errötete sie nur und schmiegte sich enger an ihn. Sie wünschte sich, bei ihren Treffen ein Tonband mitlaufen lassen zu können, dann würdesie sich Benedikts wunderbare Worte alle noch einmal anhören können, immer und immer wieder.
»Du bist wie eine wertvolle, seltene Orchidee, und ich bin die Glasglocke, die dich vor Frost, Wind und Schädlingen beschützt.«
Irmi brauchte keinen Schlaf mehr, sie brauchte auch keine Nahrung mehr, sie brauchte nur noch ihn. Sie lebte für die Nächte, in denen sie bei ihm sein konnte.
Abends, wenn Georg im Bett war – er lag um neun Uhr bereits im Tiefschlaf, dafür verlangte er allerdings auch um fünf Uhr morgens sein Frühstück –, kämmte sie sich durch das kastanienbraun gefärbte Haar, tupfte sich ein wenig von ihrem Parfüm hinter die Ohren und zog sich den Mantel über. Manchmal waren die Kinder da, dann erklärte sie, einen kleinen Spaziergang zu brauchen, und weder Diana noch Christoph schienen daran Anstoß zu nehmen. Dabei ging sie niemals spazieren, sondern nur in den Garten, weit hinten, wo die Dunkelheit sie vollständig verschluckte. Unter dem Goldregen, Irmis Lieblingsstrauch, stand eine alte Bank, auf die sie sich setzte und wartete, in die Nacht gehüllt wie in einen wärmenden Mantel.
Meistens musste sie nicht länger als eine halbe Stunde warten, um von Benedikt in die Arme genommen zu werden. »Männer wollen immer nur das eine«, hatte Irmis Mutter immer behauptet, aber die hatte ja auch ihren Benedikt nicht gekannt. Dem reichte es nämlich, sie in den Armen zu wiegen.
»Du erinnerst mich an den kleinen Hasen, den ich als Kind mal vor einem bösen Hund gerettet habe«, sagte er beispielsweise. »Genauso verängstigt und zitternd kommst du mir vor.« Irmi schmiegte sich dannenger an ihn. Ja, er war ihr Retter, ihr Licht in der Dunkelheit, ihr Engel! Nie wurde sie müde, ihm das zu sagen.
»Du sorgst dafür, dass ich mich wieder wie ein Mensch fühle«, hatte sie einmal gesagt und war froh gewesen, dass die Dunkelheit ihr schamrotes Gesicht unsichtbar machte. »Wie eine Frau.«
Benedikts Hände hatten behutsam ihren Mantel geöffnet und ihre Brüste gefunden. Ihre Dankbarkeit, ihre Liebe war so groß, dass sie ihm auf der Stelle alles, alles, alles von sich gegeben hätte, aber Benedikt hatte es nicht zugelassen.
Ganz sanft hatte er ihren Mantel wieder geschlossen und gesagt: »Ich sterbe vor Verlangen nach dir, Irmela, aber ich möchte deine Hilflosigkeit nicht ausnutzen.«
Dieser Mann war wirklich ein Engel. Irmi hatte seine Hand mit verehrenden Küssen bedeckt.
»Erwartest du im Ernst, dass ich das esse?« Georg holte sie abrupt zurück in die Wirklichkeit. Er schob angewidert seinen Teller von sich.
»Reibekuchen mochtest du doch sonst immer«, sagte Irmi.
»Sie sind aber viel fettiger als sonst«, klagte Georg. »Widerlich!«
»Sie sind nach einem Rezept von Pfarrer Hoffmanns Mutter«, erklärte Irmi und lächelte dabei. Sie liebte es, seinen Namen in den Mund zu nehmen.
»Seit wann tauschst du mit dieser Tunte Kochrezepte?«, pflaumte Georg sie an. »Überhaupt bist du nicht seine Köchin, sondern meine!«
»Ich bin deine Frau, nicht deine Köchin«, stellte Irmi klar.
»Das ist doch das Gleiche«, sagte Georg.
Irmi nahm ihm die Reibekuchen weg. »Soll ich dir stattdessen ein paar Brote schmieren? Zu mehr habe ich leider keine Zeit. In zwanzig Minuten muss ich zur Chorprobe.« Beunruhigt sah sie auf die Uhr. »Ich verstehe gar nicht, wo Diana bleibt. Sie hatte versprochen, rechtzeitig hier zu sein.«
»Ach ja, das habe ich ganz vergessen zu sagen: Diana hat angerufen. Sie wollte nach der Arbeit noch mit ein paar Kolleginnen
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