Ehemänner
Seide ausgeschlagenen Holzsarg wurde Atilio von seinen Angehörigen von Haus zu Haus getragen. Zunächst zu denen seiner drei Kumpane, von dort zu seiner Schwester Rosa, dann nacheinander zu seinem Bruder Odilón, seiner Schwester Leona, seinem Schwager Lucio und seinem Onkel Francisco. Vor jeder Tür machte der Trauerzug halt, und der Hausherr wurde aufgefordert, das Lied zu nennen, mit dem er von dem Verblichenen Abschied nehmen wollte. So zogen sie durch die kleine Dorfgemeinde, bis sie die Landstraße unweit der Familiengruft und der Kirche erreichten. Auf der anderen Straßenseite wartete die zweite Witwe, dem Anlass gemäß in Schwarz gekleidet, mit rot verweinten Augen, an jeder Hand ein Kind. Einige Trauergäste kehrten ihr den Rücken zu, nur die Sargträger blieben der Witwe zugewandt stehen, so als warteten sie auf etwas. Plötzlich rückte die Streife mit solch ohrenbetäubendem Lärm an, dass die Mariachis, die gerade Mexico lindo sangen, übertönt wurden. Ihr folgte der Gemeindelastwagen, der im Dorf mal dazu diente, das Material für Bau- oder Reparaturarbeiten, mal die Abfälle oder das Stroh für zwei altersschwache Pferde und eine hinkende Kuh zu transportieren, die Atilios und Luz’ Sohn versorgen musste.
Es half alles nichts. Als Sohn seiner Mutter fand der Bürgermeister es ungeheuerlich, ihr das anzutun, doch andererseits durfte er seinem Papachen nicht den letzten Willen verwehren. Rascher als ein Esel schnaufen kann, lud er den Sarg samt Mariachis auf den Laster, überquerte, angeführt von der Patrouille, die Landstraße und fuhr zum Haus der Lehrerin. Vor ihrer Tür blieb er stehen, woraufhin sie sich Lágrimas negras und El loco von den Mariachis wünschte. Sobald die Bitte erfüllt war, fuhr der Sohn zurück zur Kirche. Dort wartete bereits seine Mutter in Begleitung der meisten Verwandten.
»Verzeih mir, Mama«, sagte der Sohn, während er reumütig und in Tränen aufgelöst vor Luz niederkniete. »Was hätte ich denn tun sollen?«
»Genau das, was du getan hast, mein Sohn. Du hattest keine andere Wahl, als deinem Papa seinen letzten Willen zu erfüllen.«
Derweil stieg die Lehrerin mit ihren beiden Kindern, zehn Kerzen und einem tönernen Gefäß mit Weihrauch vom Lastwagen. Die Leute, die dem Trauerzug zu Fuß gefolgt waren, sahen erstaunt, wie der Sarg mitsamt seinem unrühmlichen Anhang zurückkehrte.
Die Lehrerin bat, an der Beerdigung teilnehmen und ein paar Kerzen anzünden zu dürfen. Luz’ andere Schwägerin, eine alleinstehende Frau, die aus der Stadt herbeigeeilt war, in der sie arbeitete, musste sie erhören. Sie war eher beschämt als erstaunt über die Unverfrorenheit ihres Bruders.
»Willst du, dass sie geht?«, fragte sie Luz, die einzig mögliche Form, sich für die Dreistigkeit ihres Bruders zu entschuldigen.
»Schau, liebe Schwägerin«, sagte Luz, die Tränen herunterschluckend, »wenn ich ihm zu Lebzeiten keine Szene gemacht habe, werde ich es jetzt, wo er tot ist und mir so wenig gehört wie ihr, schon gar nicht tun. Was schert es mich. Ob sie ihren Weihrauch darbieten will oder sich selbst oder ob sie bleiben will. Von mir aus. Immerhin war ihm Weihrauch vor vielen Jahren einmal lieb, und für mich war er schon lange kein Gott mehr.«
Die Mariachis hatten inzwischen den Bolero Las golondrinas angestimmt. Das Geld, das Atilio für die Musiker bestimmt hatte, ging zur Neige. Luz ordnete an, ihn in die Grube herabzulassen, die von früh an ein paar von der Nachbargemeinde gesandte Lohnarbeiter geschürft hatten.
Die Reichen im Dorf sind fast so arm wie die Armen. Und alle müssen die Trauergäste bewirten, ob sie wollen oder nicht. Eine andere Schwester von Atilio verkündete, bei ihr zu Hause gebe es Maismilch mit Pasteten. Die Lehrerin sagte, sie habe Brot und Erfrischungsgetränke. Luz begann sich zu fragen, ob es eine Hölle gebe. Dann sagte sie sich, wohl kaum, denn wenn es so wäre, hätten längst ein paar Funken der Feuersglut, in der ihr Mann schmorte, auf sie herabregnen müssen.
»Ich nehme gern ein Getränk«, sagte sie zu der Lehrerin, die immer noch weinte und weinte. »Sie Ärmste, dass Sie noch Tränen übrig haben.«
Qual der Wahl
Nach der Arbeit holte Alicia ihre Kinder von der Schule ab und ging mit ihnen essen, bevor sie alle drei gemeinsam heimfuhren.
Gegen alle Regeln erledigten die Kinder ihre Hausaufgaben auf dem Bett. Sie machten es sich dort bequem und paukten den Gebrauch englischer Präpositionen.
Im Hintergrund ließen sie
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