Ehemänner
weihnachtlichen Geschenkeaustausch ein anderes Gesicht verliehen und daraus ein Würfelspiel machten. Sie spürte, wie sich ihr Widerwillen wegen der Verluste des vergangenen Jahres allmählich legte, und als sie um sich blickte, war sie sich sicher, dass sie gerne lebte und gut. So gut, dass sie mit ihrer Abneigung gegen menschliche Nähe in nur vierundzwanzig Stunden zwei Familientreffen mit mehr als dreißig Verwandten ausgehalten hatte. Sie dachte an all die schmutzigen Schüsseln in ihrer Küche, die sie für die Zubereitung des Broccolisalats vom Mittag gebraucht hatte, und auf einmal befiel sie eine bleierne Müdigkeit, wie bei Kindern, wenn sie, erschöpft von dem ganzen Rummel, einfach im Schoß irgendeines Sessels in Schlaf fallen. Eine Müdigkeit, die ihr in den Ohren summte und ihr mit aller Macht die Lider niederdrückte.
Sie sah den Weihnachtsbaum, der sich in der Fensterscheibe spiegelte, und dahinter das dank des unermüdlichen Einsatzes eines ihrer Schwiegersöhne hell erleuchtete Stück Land. Sie fühlte sich als Teil eines in sich gekehrten Tanzes. Um sie herum waren lauter Kinder und Enkel; man hätte sagen können, dass sie die gute Fee dieses ganzen Trubels war. Sie merkte, dass die Mischung aus Mattheit und Freude sie doppelt ermüdete.
»Sergio, lass uns gehen«, rief sie ihren jüngsten Sohn zu sich, der neben ihr wohnte und dazu verpflichtet worden war, sie heimzufahren.
»Noch eine letzte Runde«, bat Sergio.
Sie fragte, wie lange das dauern würde, und er log: »Fünf Minuten.« Ihre Töchter, die sich weiter an ihrer Seite unterhielten, lullten sie mit dem Singsang ihrer knappen Sätze ein. So viel Glückseligkeit war kaum auszuhalten. Es vergingen zwanzig Minuten.
Er war hübsch, ihr orangefarbener Blazer, und sie sah hübsch darin aus.
»Sergio«, sagte die ältere Schwester, die extra aus Mexiko-Stadt angereist war, »bring unsere Mama heim, sie ist ja völlig erschöpft. Nicht wahr, Mama?«
»Ja«, sagte die Mutter, und mit ihren Worten klang das Fest aus.
»Hat es dir denn gefallen?«, wollten die Kinder wissen.
»Natürlich«, sagte die Mutter. »Deshalb will ich nun auch in mein Bett. Um den Tag nicht noch zu verderben. Wir sind doch alle erschöpft und der anderen müde.«
Beerdigung
Luz’ Ehemann erlag einem Herzinfarkt. Zwar vorhersehbar, wie so viele Infarkte, aber doch überraschend. Jedenfalls starb er.
Wer hätte das ahnen können, sagte sich die Lehrerin des Nachbardorf, die, wie man in beiden Dörfern wusste, mit dem Verstorbenen ein Verhältnis gehabt hatte. Das hätte sie niemals erwartet, selbst am letzten Abend nicht, als sie ihn an der kleinen Tür ihres Hauses verabschiedet hatte. Ein schäbiges Haus, denn heutzutage haben die Häuser in den kleinen Dörfern ihren einstigen Charme, weiß gekalkte Wände und rote Ziegeldächer, längst eingebüßt. Neuerdings werden sie aus Beton gebaut: Das landestypische Material ist teurer und weniger stabil als die grauen Blöcke, mit denen sie jetzt die Mauern hochziehen, wo an den vier Ecken die Balken überstehen, die ein zweites Stockwerk verheißen, sobald die Familie wieder Geld hat.
So war auch das Haus der Lehrerin, mit der Atilio, der Ehemann von Luz, zwei Kinder hatte. Die halbe Zeit hatten sie auf der anderen Seite eines ausgetrockneten Bachbetts zusammengelebt, das im Laufe der Jahre zu einer Landstraße wurde, an deren Rand das Dorf San Jerónimo de la Escalera entstanden war. Auf der anderen Seite hatte der Ehemann den Teil seiner Zeit, den man als legal bezeichnen könnte, mit Luz verbracht, wenngleich er sie immer weniger häufig aufgesucht hatte.
Das Leben fügte es so, dass er dort seinem Herzinfarkt erlag, wobei ihm noch genügend Zeit blieb, sich von Luz mit wenig glaubhaften Entschuldigungen zu verabschieden und von seinen älteren Kindern mit ein paar knappen Worten und einer klaren Bitte.
Sein ältester Sohn war der Dorfbürgermeister, was bedeutete, dass ihm ein kleines Gehalt, eine Polizeistreife und ein Transporter mit offenem Verschlag zur Verfügung standen und alle möglichen Anträge bei ihm eingingen, die meist unbearbeitet blieben.
In der Absicht, wenigstens eine Sache gut zu machen, übernahm der Bürgermeister die Vorbereitungen für die Beerdigung seines Vaters, der schon vor geraumer Zeit Geld für die Mariachikapelle zur Seite gelegt hatte, die ihn auf seinem letzten Weg von seinem Haus, das er mit Luz bewohnt hatte, durchs ganze Dorf geleiten sollte. In einem mit schwarzer
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