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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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»Claude, befreie mich. Du bist ein Künstler, wir gehören zusammen.« Anne zeigte ein verdrossenes Gesicht. Sie schien nicht mehr sehr glücklich zu sein über Alices Gegenwart. Und mit Recht. Seit Alice da war, spürte man Anne gar nicht mehr. Hans bemerkte das und nahm sich ihrer an. Aber es gelang ihm nicht einmal, mit ihr zu sprechen. Alice zog alle seine Sinne auf sich. Er fühlte sich zugedeckt von ihr, sie füllte ihm Augen und Ohren, am liebsten hätte er sie dem Rechtsanwalt und dem Konservenfabrikanten entrissen, hätte sie hinaus in den Park begleitet, um sich in ihren riesigen Fleischpartien aufzulösen, auf Nimmerwiedersehen. Er versuchte, mit Claude und Anne zusammen einen kleinen Kreis zu bilden. »Wenn das Ihre Frau sieht, Doktor«, rief Alice auf dem Sofa. »Die ist bei Büsgen gut aufgehoben«, sagte Rechtsanwalt Dr. Alwin, und alle lachten. Claude fing an, von Alice zu sprechen. Er mußte nicht einmal leise sprechen, der Rechtsanwalt und der Konservenfabrikant wurden immer lauter. Auch sonst war das flüsternde Geplauder längst zu einem fast schreienden Lärm geworden. Irgendwo war auch Musik eingeschaltet worden. Claude schien sich verpflichtet zu fühlen, Hans und Anne das Benehmen Alice Dumonts zu erklären. Sie sei eben eine Künstlerin, und jetzt sei sie zweiunddreißig (Hans erschrak, er hatte nicht über ihr Alter nachgedacht, aber daß sie erst zweiunddreißig war, das erschreckte ihn), es gehe abwärts, das spüre sie und sie wehre sich dagegen. Diese Bürger nützten sie nur aus, wollten mit ihr schlafen, ihr aber sei daran nichts gelegen, sie gebe sich nur so frei, weil sie glaube, das sichere ihr noch ein paar Stunden Aufmerksamkeit. Sie könne nur leben, wenn alle ihr zuschauten, sie bewunderten und begehrten, das sei eine Berufskrankheit. Aber das verstünden die Bürger eben nicht, die suchten bei ihr nur Frivolität und Exzesse, eben das, was sie unter Künstlerliebe verstünden; die verzweifelten Versuche Alices, noch etwas zu gelten in der Gesellschaft, hielten diese Herren immer gleich für eine Aufforderung, mit ihr ins Bett zu gehen; wie unglücklich Alice sei, bemerke keiner von denen. Es sei traurig, das mit ansehen zu müssen. Alice sei eine hilfsbereite und bis zur Aufopferung ihrer eigensten Interessen selbstlose Freundin, deshalb werde sie auch von allen ausgenützt.
     Claudes Augen wurden feucht, als er dies erzählte. Hans hätte ihm gerne die Hand gedrückt. Er beneidete ihn. So gut hätte er Alice auch kennen mögen. Aber er war eben kein Maler. Kein Künstler. Er hätte es nicht gewagt, in der blauen Bluse, die Claude trug, bei einer so vornehmen Party zu erscheinen. Dem sah man wahrscheinlich alles nach. Alice hatte nach ihm gerufen, und jetzt kam von der Terrasse her schon wieder eine Dame, die offensichtlich auch seinen Schutz suchte. Ein eleganter, etwas klein gebliebener Herr redete mit kurzen runden Händchen auf diese Dame ein. Seine dicken Augen waren weit aus dem rosigen Gesicht getreten. Seine kerzengerade nach vorne in die Stirn hineingekämmten Haare waren verrutscht, einige hatten sich sogar übereinandergelegt, obwohl es doch gerade das peinlich genau zu beachtende Prinzip dieser Haartracht war, daß kein Haar über das andere zu liegen kam, daß alle sorgsam nebeneinander ausgebreitet wurden und alle eine Fingerbreite tief in der Stirn aufhörten; durch dieses Nachvornekämmen wußte man ja nie genau, wo die Stirn begann, so daß es auf jeden Fall aussah, als habe der Träger dieser Haartracht eine so hohe, so gewaltige Stirn, daß er gut und gerne einen Teil davon unter seinen Haaren verbergen konnte. Die Dame schien seiner Unterhaltung überdrüssig zu sein, er aber war offensichtlich von der Wichtigkeit seiner Ausführungen so überzeugt, daß er ihr nicht gestatten konnte, sich ihm zu entziehen. Sie machte wieder eine hilfesuchende Bewegung zu Claude hin. Der rief dem Herrn zu, sich doch ein bißchen herzusetzen. Alice war übrigens kurz zuvor in den Salon nebenan gezogen worden, von dort hörte man sie jetzt singen. Ein Klavier begleitete sie.
     Der redelüsterne Herr wurde vorgestellt, das heißt, Claude stellte Hans ihm und der von ihm beredeten Dame vor. Sie wurde einfach als Cecile bezeichnet, auch Hans sollte sie nur Cecile nennen, da sie für alle Angehörigen der Philippsburger Gesellschaft so heiße, ihr Kunstgewerbeschäft in der Philippsstraße sie ihm bestimmt schon aufgefallen, jedem Menschen von Geschmack müsse es auffallen, das

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