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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wäre ich wohl nicht ganz der richtige Arzt gewesen.«
     »Ach Doktor«, sagte Frau Volkmann und warf ihre Hand weg, als wäre sie eine Bananenschale, »Sie können doch überall helfen.« Benrath erkaufte sich gegen das Versprechen, bald wieder einmal hinaufzukommen, einen raschen Abschied. Die Damen wollten Herrn Beumann aus dem Büro holen, zum Essen. Der Junge arbeite wirklich zuviel. Anne hatte während des ganzen Gesprächs kaum einmal herübergesehen zu ihm. Wahrscheinlich war sie böse, weil er ihr nicht geholfen hatte. Er war froh, daß er es abgelehnt hatte. Eine Volkmanntochter hat wirklich Geld genug, sich das von einem Arzt besorgen zu lassen, der das täglich macht, der diese Art von Risiko gewohnt ist. Und er hätte nicht einmal Geld verlangen dürfen von der Tochter einer befreundeten Familie.
     Wenn die erst wüßten, daß Birga… die und alle anderen, ganz Philippsburg. Er erinnerte sich an einen Zeitungsbericht, der in der Gesellschaft lange diskutiert worden war. Ein Ehemann hatte die Wohnungstür hinter sich zugeworfen und seiner Frau zugerufen: ich komme nie wieder zu dir zurück. Die Frau war ihm mit dem Kind ins Treppenhaus nachgerannt und hatte ihm nachgeschrien: wenn du mich verläßt, passiert etwas. Am anderen Tag fand man sie und das Kind, sie lagen auf dem steinernen Fußboden in der Küche, Zyankali. Der Mann wurde für schuldig am Tod seines Kindes befunden. Er hätte wissen müssen, daß dem Kind Gefahr drohe, nachdem er seine Familie verlassen hatte. Der Fall war bis vor das Bundesgericht gebracht worden. Die eine Instanz entschied so, die nächste anders. Der eine Richter wollte dem Mann die Schuld am Tod seiner Frau zuschieben, der andere sprach ihn völlig frei. Das Bundesgericht hatte dann das Urteil des ersten Gerichts bestätigt. Die armen Richter, dachte Benrath. Wie sie da den Unterschied zwischen dem Tod der Frau und dem Tod des Kindes herausgearbeitet hatten! Wo käme man hin, wenn jeder mit Selbstmord und Gewalttat drohen dürfte, hatten sie festgestellt. Aber dem Kind drohte Gefahr, das hätte der Mann bedenken müssen. Was also hätte der Mann tun sollen? Sitte und Religion hätten ihm geboten, sagten die Richter, die zerrüttete Ehe als Hausgemeinschaft fortzusetzen. Diese Forderung aber könne man nicht mit den Mitteln des Strafrechts durchsetzen. Das wäre ein unzumutbarer Eingriff in die Freiheit der Persönlichkeit, ein unvertretbares Hemmnis der erlaubten Rechtsausübung eines Menschen! Also durfte er, nach dem Recht, gehen. Nur sein Kind hätte er nicht der Gefahr aussetzen dürfen! Dann hätte er also doch nicht gehen dürfen? Ja. Nein. Ja. Nein. Sitte und Religion und positives Recht. Die armen Richter, dachte Benrath. Ihn würden sie freisprechen. Birga hatte nie gedroht. Aber er wollte doch nicht mehr an Birga denken. Ihre Eltern, mußte er nicht wenigstens ihre Eltern verständigen? Per Telephon. Nein, ein Brief war einfacher als ein Telephongespräch. Und ein Telegramm einfacher als ein Brief. Also ein Telegramm. Aber wie sollte er es formulieren? Ob die Schwiegereltern sofort herfahren würden? Birga war ihr einziges Kind. Und jetzt Selbstmord.
     Er fuhr in die Straße, in der Dr. Alwin seine Kanzlei hatte. Er wurde sofort vorgelassen. »Sie überraschen mich, Herr Benrath, seit Jahren betreibe ich hier meine Praxis und jetzt, da ich im Begriff bin, sie aufzulösen, besuchen Sie mich. Darf ich fragen, ob ich in Ihnen gar einen Klienten sehen darf?«
     Benrath fühlte sich verpflichtet, zuerst seinerseits den Überraschten zu spielen und den Rechtsanwalt zu fragen, warum er seine Praxis auflöse. »Ich gehe ganz in die Politik«, sagte Herr Dr. Alwin und strahlte übers ganze Gesicht. »Ich gehöre seit acht Tagen dem Landesvorstand der »Chrstlichsozial-liberalen Partei Deuschlands« an, CSLPD, eine Neugründung, ich bin ziemlich tief drin, und bei den nächsten Wahlen wird man ja sehen, ob man ohne uns auskommt! Die Idee ist folgende, Doktor Benrath, das dürfte Sie interessieren, eine Idee, die ich, wäre ich an ihrer Konzeption nicht so eng beteiligt, geradezu als genial bezeichnen möchte, denn, verstehen Sie, es geht ja nicht so weiter, diese künstlichen Regierungskoalitionen, was schart sich da alles zusammen, bildet eine Regierung, die von Anfang an kriselt, dem Volk macht man Tinneff vor, kittet ein Programm zusammen, vergeudet Zeit und Geld und die Begeisterungsfähigkeit des Volkes und kommt vor lauter Hin und Her zu keinem Entschluß. Das

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