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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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werden wir ändern, zuerst einmal auf Landesbasis, wir sind eine Partei, die jeden Wähler aufnehmen kann, CSLPD, bei uns kann jedes Interesse seine Heimstatt finden, und wir sind einig, sind eine Partei mit einem Apparat, für die Regierung prädestiniert, wir sind handlungsfähig und kranken nicht an falschen Kompromissen, verstehen Sie, Doktor!« Benrath gratulierte. Der Rechtsanwalt hastete weiter. »Ja, wissen Sie, als Amateur kommt man da nicht weiter. Entweder ganz oder gar nicht. Und ich bin nun einmal Praktiker. Was soll die Rechtsverdreherei, das ganze Pi-Pa-Po, nichts als Ehescheidungen und Testamentsanfechtungen und Mietstreitigkeiten. Das hängt mir hier heraus. Ich danke. Man ist der Kehrbesen für die Leute, die saubere Finger behalten wollen, nein hören Sie, das ist kein Leben mehr, Rechtsanwalt Nummer Soundsoviel, im Gerichtssaal schauen, wenn’s hoch geht, vierzig Leute zu, da reden Sie für die Luft, haben keinen Einfuß, das macht auf die Dauer keinen Spaß. Man will doch auch ein bißchen vorwärts, will sich regen, wozu hat man denn die Ellbogen, na, Herr Doktor, für irgend was sind die doch vorgesehen in unserer gut geplanten Anatomie! Dafür vielleicht, daß man sich abwechselnd auf dem Schreibtisch und auf der Anwaltsbank die Ärmel durchscheuert?…« Benrath hörte gehorsam zu. Dr. Alwin drehte sich auf seinem Stuhl hin und her, warf seine kurzen Ärmchen in die Luft, steckte dann und wann einen Zeigefinger in den Kragen, um seinen überquellenden Hals wieder für ein paar Sekunden von dem Druck des Kragens zu befreien, und schüttelte seinen Kopf während seiner Rede so heftig hin und her, daß seine fleischigen Backen, den Gesetzen der Fliehkraft gehorchend, weit im Kreise herumflogen, sich geradezu vom Gesicht zu lösen schienen, wie die Sitze eines Kettenkarussells, wenn die Drehung ihre höchste Geschwindigkeit erreicht hat. Endlich schien er Benraths Anwesenheit wieder zu bemerken. Benrath sagte, was ihn hergeführt habe. Der runde Rechtsanwalt brachte seine Massen einen Augenblick lang zu völligem Stillstand. Dann sprudelte aus seinem Mund eine Beileidserklärung heraus, die man ohne jede Veränderung auf der Lokalseite des »Philippsburger Tagblattes« hätte abdrucken können. Benrath vertiefte sich unterdessen in Dr. Alwins Gesicht: es war längst nach allen Seiten über die Ufer getreten, die auch bei ihm wahrscheinlich vor Zeiten durch den Knochenbau bezeichnet gewesen waren; davon war nichts mehr zu sehen; eine Flut von Fleisch und Fettsäcken schwamm durcheinander, und der Mund, der nicht mitgewachsen war, wirkte winzig, war eine kleine unanständige Öffnung geworden, die unablässig zappelte, um von den umgebenden Massen nicht gänzlich verschlungen zu werden.
     Dr. Alwin gab zu erkennen, daß er sich geschmeichelt fühle; er sehe in Benraths Besuch einen Beweis freundschaftlichen Vertrauens. Bei den flüchtigen Begegnungen auf gesellschaftlichen Veranstaltungen lerne man sich ja kaum kennen, so flüchtig seien die Kontakte, und doch spürten natürlich die paar Leute von Niveau sofort ihresgleichen heraus aus der Menge der Gäste. Auch er habe in Benrath immer einen Mann gesehen, mit dem man rechnen müsse und rechnen könne, das sei das Erfreuliche. Die Zeit werde es ja zutage bringen, in wem was stecke und wer zur Spreu gehöre. Ob da sich einer nun der Politik verschreibe, um Verantwortung zu übernehmen, oder ob er sich dem Kampf gegen die Krankheit widme, Qualität bleibe Qualität. Und er werde selbstverständlich gern Benraths Angelegenheiten in die Hand nehmen. Obwohl da ja nicht viel zu tun sei. Er verstehe, daß Benrath jetzt zuerst einmal verreisen wolle, weg aus der Stadt, weg vom Gerede, von den falschen Mitleidsmienen der Sensationslüsternen. Auch die Verständigung der Schwiegereltern, natürlich, das besorge er. Er wünsche gute Reise. Gute Erholung. Und gute Rückkunft. Man brauche jeden guten Mann.
     Ja, Benrath hatte gesagt, er wolle verreisen. Das war ihm bei Dr. Alwins Beileidserklärung eingefallen. Dieser auf Bestätigung versessene Rechtsanwalt, der ihn benutzt hatte, die erste Wahlrede seiner politischen Karriere zu halten, würde alles erledigen, was zu erledigen war. Nachdem Benrath ein paar Vollmachten unterschrieben hatte, verabschiedete er sich mit aller Dankbarkeit, die zu zeigen er imstande war. Ins Hotel wollte er noch nicht. Zu Cécile? Nein. Nicht jetzt. Vor einem Kino hielt er an. In der riesigen Glashalle stand ein Menschenhaufen,

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