Ehen in Philippsburg
immer höher wachsenden Stapel, so rasch, als benötigten sie für ihre hin- und herfahrenden Hände und Körper gar keinen Atem; ihre Gesichter waren fröhlich bei ihrem Geschäft, von mundoffener Anstrengung und Ermüdung keine Spur. Die Frau brachte es sogar fertig, jedes Kistchen, das sie unter der Tür in Empfang nahm, mit einem einzigen Blick kritisch zu mustern, eine etwa schon angefaulte Tomate mit diesem einzigen Blick aus fünfzig gesunden herauszusehen und der schon nach oben schwebenden Kiste noch rasch die verdorbene Frucht zu entreißen, um sie für eine nachherige Abrechnung mit dem Lieferanten auf den Ladentisch zu legen, wo schon andere Makelfrüchte übersichtlich zum Nachweis aufgereiht waren; und dann waren ihre Hände wieder so rechtzeitig an der Ladentür, daß sie der nächsten Kiste mit ein paar spielerischen Fingerbewegungen befehlen konnten, rascher heranzukommen. Die zwei Männer, die den Lieferwagen entluden, hatten kaum Zeit, während ihrer Gänge von der Ladentür zum Wagen zurück mit einer Ärmelbewegung den Schweiß von der Stirne zu wischen, so hielten die Frau und das Mädchen ihre Lieferanten im Trab.
Er hatte mit dem Geschäft, das hier ablief, nichts zu tun, er konnte zuschauen, getrennt von der Wirklichkeit durch die makellose Scheibe seines Wagens und durch die vier Reifen, die ihn gleichzeitig auf der Straße hielten und ihn auf die erträglichste Weise von ihr trennten. Er konnte sich von diesem Auto in jede Straße der Stadt bringen lassen, konnte überall zuschauen und brauchte, wenn er nur die Verkehrsregeln sorgsam beachtete, keinem Menschen Rechenschaft zu geben. Nie hatte er sich in seinem Auto so wohl gefühlt wie an diesem Vormittag. Er stellte den Motor an und bog aus der Gasse wieder in die Hauptstraße ein. Das erforderte gerade jenes Maß an Aufmerksamkeit, das er noch aufbrachte. Zugleich hinderte ihn diese Aufgabe daran, etwas gegen die Lähmung zu tun, die ihn beim Anblick Birgas befallen hatte. Er konnte nichts Besseres tun als Auto fahren, ganz gleich wohin, nur möglichst im regen Verkehr bleibend, um die wenige Kraft, die ihm zur Verfügung stand, mit Kuppeln, Bremsen, Schalten und Beachten der Verkehrsordnung zu beschäftigen. Er ließ sich ansaugen von gleißenden Stoßstangen, fuhr dicht an sie heran, heftete sich an sie, verfolgte sie durch viele Straßen hindurch, als hänge sehr viel davon ab, den Wagen mit dieser Stoßstange nicht aus dem Auge zu verlieren; bis dann einer der Verfolgten so plötzlich auf einen Parkplatz einbog, daß Benrath es erst merkte, als er auch schon auf dem Parkplatz war. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auch eine Parklücke zu suchen, weil er fürchtete, es falle jemandem auf, wenn er den Parkplatz gleich wieder verlasse. Er fuhr deshalb seinen Wagen mit großer Vorsicht in eine ganz enge Lücke, stellte den Motor ab, blieb aber am Steuer sitzen. Links und rechts von ihm eine ruhige Versammlung blinkender Autoschnauzen. Er begann zu zählen. Aber immer nach dem zehnten, elften oder zwölften Wagen begann ein Kühler unterschiedslos in den anderen überzugehen. Er zählte noch einmal, kam wieder bis zum zwölften. Das nächste Mal nur noch bis zum neunten. Seine Augen schmerzten, und das Kopfweh vom frühen Vormittag kritzelte ihm wieder unter der Schädeldecke herum. Ohne besonderen Entschluß stellte er den Motor wieder an, schob sich nach rückwärts aus der Reihe, in der er geparkt hatte, in der er nicht mehr hätte bleiben können, ohne dem quälenden Zwang zu verfallen, die blinkenden Kühler nach links und nach rechts immer wieder abzuzählen.
Als er gerade am Manövrieren war, rauschte ein großer Sportwagen auf den Parkplatz herein, bremste scharf neben ihm, Frau Volkmann winkte fröhlich mit »Hallo Doktor« zu ihm herüber. Anne saß neben ihr, sie sagte: »Guten Tag, Herr Dr. Benrath«. Er grüßte zurück. Sie wußten also noch nichts. Woher auch! Frau Volkmann forderte ihn auf, mit den Damen einen Aperitif zu trinken. Er lehnte ab. Dann wenigstens ein paar Plauderminuten von Auto zu Auto, das sei auch ganz amüsant.
Anne gehe es wieder besser. Er bemühte sich, ein überrascht fragendes Gesicht zu machen. Ja, sie habe sich doch eine abscheuliche Fischvergiftung geholt bei einer Freundin. Aber sie sei ja so eigensinnig, sei einfach nicht zu bewegen gewesen, einen Arzt aufzusuchen, obwohl sie, die Mutter, immer wieder geraten habe, Dr. Benrath anzurufen. Benrath sagte: »Fischvergiftung? Da
Weitere Kostenlose Bücher