Eheroman (German Edition)
sagt Hartwig und hebt seinen Zeigefinger, und Ava muss fast lachen. «Mitleid nur ganz in der hintersten Stelle in deinem Herzlein. Sonst halten die dich damit fest, und dann wieder», er wedelt mit der Hand, «keine Zeit. Aber du weißt es. Ich sag es dir nur, weil es anders ist als im Krankenhaus, wenn sie zu Hause sind. Zu Hause haben sie ihr ganzes Privates um sich rum, und damit befeuern die dich, weil sie den ganzen Tag drauf warten, dass du kommst. Die warten und warten, und wenn du kommst, dann schleudern die das auf dich rauf.»
«Ja, Hartwig», sagt Ava.
«Findest du, ich bin zu ernst mit allem?»
«Du bist relativ ernst, aber es macht mir nichts. Ich bemühe mich, sag ich dir.»
«Du wirst es erst mal falsch machen, aber dann lernst du es, und du hast ja auch die Termine bei den Leuten. Das musst du ja alles schaffen. Da kannst du nicht anders.»
«Sonst feuerst du mich.»
«Sonst feuer ich dich», sagt Hartwig und strahlt und steigt in sein Pflegedienstauto, einen roten Ford Fiesta mit einem riesigen Aufkleber auf der Tür, «Hartwig Endres Häusliche Pflege». Frau Dr. Brackwerth ist schon genervt von der ganzen Sache, weiß Ava. Frau Dr. Brackwerth muss sich als Ärztin unabhängiger verhalten, sagt sie auch. Soll sie. Dann hat Ava nur noch mit Hartwig zu tun, das ist ihr sowieso lieber.
Danilo ist böse auf Fadil. Fadil ist zu einer Abendverabredung in der Kneipe nicht gekommen, weil er die Verabredung vergessen hatte. Danilo saß alleine in der Kneipe, wartete, trank ein Bier, wartete weiter, trank ein zweites Bier, kam nach Hause und sagte Ava erst einmal nichts. Später wollte Fadil Danilo bei einem Artikel helfen, in dem Türken in Deutschland eine Rolle spielten, das war das Thema, und deshalb sollte Fadil helfen. Fadil sagte eine Stunde vorher ab, wegen Kopfschmerzen. Er hatte noch nie wegen Kopfschmerzen irgendetwas abgesagt, er hatte überhaupt nie irgendetwas abgesagt und nie Wörter wie Kopfschmerzen ausgesprochen. Deshalb wollten sie es nicht glauben.
Fadil war in letzter Zeit unzuverlässig gewesen. War er aber doch da, dann strahlte er noch mehr als früher und kicherte wie ein riesiges Kind mit seinem nun kurzrasierten schwarzen Schädel in seinen Anzügen und mit seinen albern glänzenden Schuhen. Ava freute es heimlich immer noch sehr, wenn er kam, sie sah über alles hinweg, nicht so Danilo.
«Der hat doch kaum etwas am Hacken», schimpft Danilo am Abendbrottisch, während sich Merve ihre Scheibe Brot mit sehr viel Butter bestreicht. Auf die Butter tut sie Erdbeermarmelade, von der Mummi selbst gekocht und in kleine, verzierte Gläschen verpackt. Die Marmelade mischt sich mit der weichen Butter auf dem Brot zu einem cremigen gelbrosa Matsch.
«Das ess ich nüch», fängt sie an zu heulen.
«Marmelade ist auch kein Abendbrotessen», sagt Danilo.
«Dooooch. Mama, das ist dooch ein Abendbrotessen?»
Ava hat es Merve erlaubt, Marmelade zu essen, weil Merve den Tisch gedeckt und natürlich auch selbst die Marmelade auf den Tisch gestellt hat. Schlau eingefädelt von der schlauen Merve, und Ava wollte nicht so gemein sein, die Marmelade wieder in den Kühlschrank zu stellen. Genau genommen war sie auch zu müde, um das Geheul zu ertragen. Jetzt muss sie es trotzdem ertragen. «Das hast du doch gut geschmiert», sagt sie «und ganz alleine.»
«Aber wie das aussieht!», heult Merve weiter. «Schmierst du mir ein neues Bro-hot?»
«Und dieses hier?»
«Das werfst du weg», sagt Merve.
«Das können wir doch nicht wegwerfen. Das ist ein Eins-a-Brot.»
Martin, in seinem Stühlchen, wischt mit seinen kleinen Fingern die Leberwurst von seinem kleingeschnittenen Brot und stopft sie sich in den Mund. Wenn er damit fertig ist, dann isst er am Ende die vermanschten Brotstücke. Das ist so sein Stil. Ava findet es nicht appetitlich, aber sie erträgt es. Sie nimmt Merves Brot und beißt ein winziges Stück Buttermansch ab. «Mh, lecker! Marmelade ist zum Abendbrot eigentlich gar nicht erlaubt, Merve, hast du die Marmelade auf den Tisch gestellt?» Trotziges Schweigen. «Willst du heute … ausnahmsweise … trotzdem dieses Marmeladenbrot essen?»
«Ja», sagt Merve, nimmt schnell das Brot und beißt hinein.
Im Kinderaustricksen ist Ava schon ziemlich gut. Danilo mischt sich glücklicherweise nicht ein. Wenn er sich einmischt, gibt es immer Geschrei, denn Danilo ist konsequent und hätte die Marmelade wieder in den Kühlschrank gestellt, Geschrei hin oder her. Haben sie deshalb
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