Eheroman (German Edition)
sie will nur was Schönes machen. Sie hat nämlich eine Krankheit, glaube ich, sie hat so was angedeutet.»
«Eine Krankheit? Was denn für eine Krankheit»?
«Ich weiß nicht, ich glaube, was Psychisches, glaube ich. Sie geht auch komisch, sie zieht den Fuß etwas hinterher, aber das ist ja dann nichts Psychisches, oder?»
«Ich soll mit dir und einer psychisch kranken Frau Theater spielen?», fragt Ava und muss schon währenddessen denken, dass sie das wahrscheinlich will.
«Ava, das ist doch nicht schlimm, dass sie psychisch krank ist. Sie ist doch ganz lustig, und außerdem ist doch jeder ein bisschen psychisch krank. Das macht doch nichts.»
«Es ist nicht jeder ein bisschen psychisch krank. Wir sind bloß fertig, aber nicht psychisch krank. Ich jedenfalls nicht. Ich kann auch nicht, ich schaffe das so schon alles nicht.»
«Das ist das Falsche, was du sagst, Ava. Wenn du sagen würdest, du willst nicht, dann wäre es gut, aber du sagst nicht, dass du nicht willst.»
Ich will ja auch nicht nicht, denkt Ava.
«Wo soll es überhaupt sein?»
«Das ist das Beste. Es soll in ihrem Haus sein. Sie hat ein großes, schönes Haus, fast direkt an der Alster, hat sie gesagt.»
«Hast du mal darüber nachgedacht, dass die Frau etwas von dir will?»
«Sexuell meinst du?»
«Vielleicht?»
«Könnte sein», murmelt Merve. «Aber wenn nicht, und wenn sie diese Theatersache in ihrem Haus machen will, dann können wir das doch machen, oder? Überleg dir das. Du kannst immer Zeit finden, wenn du willst.»
Ava schüttelt den Kopf. Sie kann keine Zeit finden, die Zeit ist einfach fort.
Die kleine Merve klebt schon wartend mit ihren roten Strumpfhosenbeinen und ihrem Unterhemd – Unterhemd, weil sie immer so schwitzt und sich alles auszieht – an der Scheibe im Gruppenraum zur Straße hin. Sie will Ava ein Bild zeigen, das sie gezeichnet hat. Ava schaut sich das Bild an. Sie selbst ist darauf abgebildet. Sie hat einen riesigen Kopf mit gelben Haaren, die sich fadenartig um ihren Kopf wellen. Sie hat große runde Augen, umkränzt von langen schwarzen Wimpern. Sie hat einen riesig lächelnden roten Mund und eine ganz kleine Nase. Sie trägt ein blaues Kleid mit weißen Blumen. Das Kleid hat Merve mit Buntstift ordentlich um die ausgesparten Blüten herum ausgemalt. Sie trägt schwarze Schuhe mit gewaltigen spitzen Absätzen. Über ihr scheint die Sonne, unter ihr blühen auf einem grünen Strichrasen viele bunte Blumen. Oben links an der Ecke steht MAMA AVA. Daneben ein kleines rotes Herz.
«Mervi!» Sie drückt Merve an sich, ihren warmen kleinen Körper, und wiegt sie dabei hin und her, Merve drückt ganz fest zurück, sie ist vor Freude und Stolz ganz außer sich.
«Mama, das mit dem Kleid habe ich gut ausgearbeitet», sagt Merve.
Ava nickt. «Besser kann man es nicht ausarbeiten.»
Fadil steht vor einem Regal, das die ganze Wand einnimmt. Alle Wände sind mit Regalen verkleidet, gefüllt mit Tee, Pralinen, Portwein und Whisky, eingelegten Gemüsen, eingelegten Fischen, Schweizer Schokoladen, kleinen italienischen Kuchen, Marzipanfiguren, Kartons mit türkischen Süßigkeiten, französischem Käse, spanischer Wurst und spanischem Schinken, englischen Chips, Nachos, Nüssen und gerösteten Kernen in diversen Zusammenstellungen. Durch die riesigen Schaufenster im Erdgeschoss dringt nur wenig Licht. Über dem Verkaufstresen hängen dicht nebeneinander kleine, zylindrische weiße Lampen. Ein paar Leute kaufen ein, konzentriert sortieren sie die teuren Lebensmittel in winzige, geflochtene Körbe. Eine schmale, blonde Frau mit hellblauer feiner Baumwollschürze, «Feinkost Demir» auf dem Bauch, bedient lächelnd die Kunden. Ihr Lächeln wie ihre Nägel und ihr Make-up sind gepflegt und angemessen. Fadil steht daneben und starrt in die Mitte seines Ladens. Sein kurzrasiertes Haar ist in Stoppeln aus seinem riesigen Schädel gesprossen.
«Fadil», sagt Ava, sie ist in der Nähe gewesen, bei Frau Burckhardt mit Arthrose und frisch überlebtem Schlaganfall, sie ist rasch fertig gewesen und hat schon fast Feierabend. Sie hat die ganze Zeit daran gedacht, dass «Feinkost Demir» in dieser Straße ist, die eine Straße von den kleinen roten Häusern der Straße von Frau Burckhardt entfernt liegt. Sie hat gedacht, hereinzuschauen und gegebenenfalls etwas zu kaufen. Schokolade zum Beispiel. Etwas anderes war ihr nicht eingefallen. Sie hat an Fadil gedacht, der in Danilos Gunst gesunken ist. Danilo selbst glaubt, er sei
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