Eheroman (German Edition)
Raum erreicht, den sie fast komplett ausgeräumt hat, falls er nicht immer so leer steht. Nur ein Schuhregal lehnt an der linken, rosa tapezierten Wand, und die Schuhe aller beteiligten Schauspieler stehen im Regal. Die beteiligten Schauspieler sind Merve und Barbara und nun Ava. Merve sitzt mangels Stuhl auf dem Boden, auf einem dicken weißen Teppich. Neben dem Teppich steht ein hohes, geschwungenes Glas mit Goldrand und eingeschliffenen tanzenden Engeln, das Glas gefüllt mit dunklem Rotwein. Der Raum ist von einer Seite mit hohen, verglasten Flügeltüren auf den Garten hinaus ausgestattet. Im Garten dunkellila Buchen hinter einer wild verwachsenen Rasenfläche, in deren Mitte ein Engel mit abgebrochenem Kopf auf einem Zeh steht, das andere Bein angezogen, wie zum Abflug bereit, nur ohne Kopf. Der Rasen und der ganze Garten sind von herabgefallenem Laub bedeckt, lila Laub, braunem, bereits verfaulendem Laub und frischem gelbem Laub vom Ahorn zur Linken. Am Ende des Gartens, an einem Stück roter Mauer, glüht noch ein letzter Rest Sonne. Am Rand der Terrasse, unter einem kleinen, verkrüppelten Baum, liegen verfaulende blaubraune Pflaumen, von Wespen umschwirrt. Auf der Terrasse stehen eiserne Gartenstühle und ein verstellbarer Fernsehsessel aus altem, aufgerissenem Leder neben einem weißen Plastiktisch. Im Garten ist es also nur mittelfein eingerichtet.
Barbara, Schätzchen stellt ein weiteres Glas auf den dicken Teppichboden und fragt: «Wein, meine Liebe?»
Ava nickt. Noch nie hat sie ein solches Glas in der Hand gehalten, vom Wein in ihrem Mund ganz zu schweigen, der Wein ist phantastisch.
«Dann fangen wir doch an», sagt Barbara.
«Und die anderen?», fragt Ava.
«Andere gibt es nicht», sagt Merve.
Ava kippt einen Schluck Wein, er rollt in ihrem Hals herunter wie Gold, ein anderer Vergleich fällt ihr nicht ein. «Gut», sagt sie, «wenn es nur wenige Rollen sind, das ist auch nicht schlecht.»
«Es sind sieben Rollen», sagt Barbara und nickt dazu, ihre Reifen klirren, und sie lächelt mit ihren breiten, rot bemalten Lippen. Ihre roten, glatten Lippen, sie hat für ihr graues Alter sehr schöne, glatte Lippen, überlegt sich Ava, bilden einen schönen Kontrast zu ihrem grauen Haar. Man muss es alles nutzen, wie es ist.
«Sieben», wiederholt Ava und denkt über diese Zahl nach.
«Meint ihr, wir sind zu wenig?», fragt Barbara.
«Wir sind nicht sieben», sagt Merve. Merve trägt auch ein helles Kleid. Es ist nicht so lang wie das von Barbara, es ist ein halblanges Leinenkleid, durchgeknöpft und noch ganz dem Sommer verschrieben. Merves knochige braune Knie glänzen unter dem gespannten Stoff hervor.
«Jacqueline», schreit Barbara. Dann nach einer Weile wieder: «Jacqueline, kommst du mal?»
Jacqueline ist die weißhaarige Greisin mit dem winzigen weißen Hund. Der weiße Hund läuft langsam humpelnd hinter ihr her. Sie trägt eine klein geblümte Bluse aus schimmerndem Stoff, vielleicht Seide, über einem grauen Rock, die Bluse weit ausgeschnitten und ein sommersprossiges, knittriges Dekolleté freigebend, darin eine lange mattweiße Perlenkette, die fast zwischen den flachen Brüsten versinkt. Die Unmengen an Sommersprossen haben ihr Gesicht und ihre Schultern und Arme fast gänzlich in ein fleckiges Orangebraun getaucht, nur an den Schläfen gibt es beidseitig eine etwas hellere Stelle.
«Jacqueline, wir könnten noch jemanden gebrauchen. Hast du dir jetzt überlegt mitzumachen?», fragt Barbara. Barbara hat sich mit ihren kräftigen weißen Beinen seitlich auf dem Teppich niedergelassen und ihr leeres Weinglas auf einem gläsernen Tablett abgestellt. Auf dem gläsernen Tablett sind Rotkehlchen auf einem Tannenzweig abgebildet. Einige Tropfen Wein sind über das Glas gelaufen und haben eine sich verzweigende Spur hinterlassen.
Jacqueline wiegt den Kopf bedächtig und lächelt mit sich kräuselnden Lippen. «Ich bin eine alte Frau», sagt sie. Niemand widerspricht ihr. Sie wartet eine Zeitlang in den Raum lächelnd auf Ermunterung und Zuspruch, während ihr Hund sie ratlos anstarrt und im Sitzen mit seinem Schwanz über den Teppich schubbert. «Ich seh mir mal die Rollen an», sagt sie dann.
«Jacqueline war auch beim Theater», sagt Barbara und erhebt sich, um Jacqueline ein Glas zu holen. Sie kehrt zurück, schenkt ihr Wein ein und schenkt sich selbst auch ein zweites Glas Wein ein.
«1951 bis 52», sagt Jacqueline, während sie ihr Glas in die Runde hebt, «in Hannöver.»
Weitere Kostenlose Bücher