Eheroman (German Edition)
Jacqueline hat einen kleinen, vielleicht vorgetäuschten, vielleicht echten französischen Akzent.
«Ja, das löst aber nicht das Problem», sagt Merve, «weil, dann sind wir vier, und wir brauchen sieben, nicht wahr?»
Ava setzt sich endlich auch auf den Teppich, nur Jacqueline steht mit dem Hund und ihren knochigen Beinen, mit winzigen, runden, harten Waden in einer graubraunen Strumpfhose neben ihnen.
«Es geht gar nicht so sehr um die Anzahl der Schauspieler», sagt Barbara und nimmt einen großen Schluck von dem Wein. Wenn sie so weitersäuft, dann ist sie bald voll, überlegt Ava sich.
«Nein. Das sage ich auch nicht», sagt Merve, «ich habe mich nur gefragt, wer die anderen drei Rollen spielt, das ist wohl eine berechtigte Frage, nicht wahr?»
«Vielleischt ’ätten die Damen gerne einen Tee?», fragt Jacqueline.
Ava nippt an ihrem Rotwein.
«Tee geht doch nicht zu Rotwein, meine Liebe, also wirklich», sagt Barbara.
Der weiße Hund streckt sich auf dem Teppich lang und leckt seine Vorderpfoten ab. Er hat eine winzige rosa Zunge, die sich um die Pfoten wickelt wie ein kleines Läppchen.
«Es gibt zwei Möglischkeiten, damit umzugehen», sagt Jacqueline und hebt den Zeigefinger, «bevor isch den Tee bereite, möchte ich sie Ihnen noch eben eröffnen. Zum einen …», sie legt eine dramatische Pause ein, «… können wir noch drei weitere Personen in unseren Kreis aufnehmen.» Sie blickt in die Runde, als hätten die anderen darauf nie kommen können. Dann nickt sie mit kleinen, zackigen Bewegungen, sodass ihr weißes, dauergewelltes Haar zittert. «Zum anderen … kann Barbara die überzähligen Personen aus dem Stück streichen.»
«Denkst du, Jacqueline, in meinem Stück gibt es ganze drei überzählige Personen? Nicht eine einzige Person ist überzählig. Nicht eine einzige.» Barbaras bereifte Hand greift nach dem Rotweinglas, und alles klirrt hübsch aneinander. Barbara ist ebenfalls etwas laut geworden.
«Worum geht es eigentlich in deinem Stück?», fragt Merve schnell, denn das Problem der sieben Rollen lässt sich anscheinend momentan nicht friedlich lösen.
«Ich gebe es euch mit, und ihr lest es zu Hause, in aller Ruhe. Und lasst es auf euch wirken.»
In aller Ruhe zu Hause, denkt Ava und lässt eine weitere Kugel puren Goldes durch ihre Gurgel laufen.
«Ich könnte noch ein paar Leute fragen», bietet Jacqueline an.
Barbara sagt nichts dazu. Barbara blickt durch die Flügeltüren in den Garten hinaus. Ein Vogel pickt an einer fauligen Pflaume herum.
«Vielleicht würde noch jemand aus meinem Freundes … kreis mitmachen», wiederholt Jacqueline ihr Angebot.
«Das ist sehr nett von dir, Jacqueline, aber allzu viele Achtzigjährige verträgt dieses Stück nicht.»
Jacqueline steht mit ihren Beinchen, als Einzige stehend, vor ihnen, und stemmt die Hände in die Seiten. Sie setzt zu einem Protest an, lässt die Luft dann aber zu einem Seufzen herausströmen und schweigt.
«Hast du vorher schon mal ein Theaterstück geschrieben?», fragt Merve.
«Zwei, drei Stücke habe ich schon geschrieben. Sie sind allerdings nicht zur Aufführung gelangt. Was haltet ihr davon, wenn ich euch nun das Stück überreiche?»
«Vielleischt wollen sie dein Stück auch gar nischt», sagt Jacqueline, «vielleischt sind sie gar nischt begeistert, Barbara.»
«Du wolltest Tee machen, Jacqueline.»
«Schon, aber keiner wollte Tee. Willst du Tee, Barbara?»
«Du musst es ja nicht vorher schon verbreiten, das Nichtgefallen und deine ganze Ablehnung immer.»
«Ich lehne gar nichts ab. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass das möglisch ist.»
«Du hast das Stück ja noch gar nicht gelesen.»
«Das werde ich auch nicht.»
«Du wirst es auch nicht? Du willst doch hier in diesem Stück mitspielen, soweit ich das verstanden habe.»
«Das überlege ich mir noch, das kommt ganz darauf an.»
«Worauf, liebe Jacqueline, kommt das an?»
«Darauf, ob mir das Stück gefällt.»
«Und wie willst du das herausfinden? Wie, Jacqueline, willst du das herausfinden, wenn du dieses Stück nicht einmal zu lesen gedenkst?»
«Ich kenne dieses Stück.»
«Du kennst dieses Stück?»
«Sicher, isch kenne disch, meine Liebe, deshalb kenne ich dieses Stück, besser, als du dir vorstellen kannst.»
Ava starrt Merve an, die fasziniert, mit offenem Mund, den Dialog verfolgt und dem Hund dabei den grauen zitzigen Bauch krault. Der Hund hat sich auf den Rücken gelegt, die Beine in die Luft gestreckt und schnappt
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